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Interview mit Rechtsanwalt Reime: „Der geplante Formwechsel bei Biotest ist ein Macht- und Strukturwandel – mit weitreichenden Folgen für Aktionäre“

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Interviewer: Herr Reime, die Biotest AG hat ihre Aktionäre zu einer außerordentlichen Hauptversammlung am 17. Dezember 2025 eingeladen. Der zentrale Punkt auf der Tagesordnung ist der Formwechsel in eine Kommanditgesellschaft auf Aktien (KGaA). Was bedeutet dieser Schritt konkret für das Unternehmen und seine Aktionäre?

Rechtsanwalt Reime:
Kurz gefasst: Biotest verändert seine gesamte Rechtsstruktur. Die bisherige Aktiengesellschaft soll in eine GmbH & Co. KGaA umgewandelt werden – eine Mischform aus Kapital- und Personengesellschaft. In dieser Struktur übernimmt eine Komplementärin, hier die Biotest Management GmbH, die vollständige Geschäftsführung und Haftung. Die bisherigen Aktionäre werden Kommanditaktionäre, also Kapitalgeber ohne Einfluss auf operative Entscheidungen.

Interviewer: Bedeutet das, dass die Aktionäre damit Entscheidungsrechte verlieren?

Rechtsanwalt Reime:
Ganz eindeutig ja. In einer KGaA liegt die unternehmerische Kontrolle bei der Komplementärin. Und diese steht vollständig unter der Kontrolle von Grifols S.A., dem spanischen Großaktionär, der über die Biotest Management GmbH indirekt alle Stimmrechte hält.
Das bedeutet, dass Grifols künftig faktisch allein das Sagen bei Biotest hat – während die übrigen Aktionäre zu stillen Kapitalgebern werden. Sie haben weder Einfluss auf die strategische Ausrichtung noch auf personelle Entscheidungen.

Interviewer: Warum wählt Grifols diesen Weg eines Formwechsels und nicht eine klassische Übernahme?

Rechtsanwalt Reime:
Das ist aus Sicht von Grifols ein strategisch sehr geschickter Schritt. Durch den Formwechsel kann Grifols die vollständige Kontrolle sichern, ohne ein Pflichtangebot an die übrigen Aktionäre abgeben zu müssen – wie es bei einer Übernahme der Fall wäre. Gleichzeitig verschafft die KGaA-Struktur der Konzernmutter dauerhafte Macht, weil sie die Geschäftsführung kontrolliert, ohne Kapitalanteile abgeben zu müssen.
Für Minderheitsaktionäre hingegen bedeutet das: weniger Mitspracherecht, mehr Abhängigkeit.

Interviewer: In der Einladung wird auch eine Umstellung von Inhaber- auf Namensaktien erwähnt. Was steckt dahinter?

Rechtsanwalt Reime:
Das ist ein weiterer Punkt, der die Kontrolle über den Aktionärskreis stärkt. Bei Namensaktien wird jeder Aktionär mit persönlichen Daten im Aktienregister eingetragen – inklusive Anschrift, Geburtsdatum und Anzahl der gehaltenen Aktien.
So kann das Unternehmen, also letztlich Grifols, jederzeit nachvollziehen, wer Anteile hält und in welchem Umfang. Für die Gesellschaft ist das Transparenz, für Anleger bedeutet es allerdings auch Verlust an Anonymität und Bewegungsfreiheit.

Interviewer: Auffällig ist, dass der Hedgefonds Westbourne River Event Master Fund Sonderprüfungen beantragt. Was hat es damit auf sich?

Rechtsanwalt Reime:
Das ist ein klarer Hinweis darauf, dass nicht alle Aktionäre den Kurs von Grifols mittragen. Westbourne fordert zwei Sonderprüfungen – die erste betrifft eine mögliche Verletzung der Marktmissbrauchsverordnung (MMVO), konkret den Zeitpunkt einer verspäteten Ad-hoc-Mitteilung im Februar 2025. Der Verdacht lautet, dass Biotest die Veröffentlichung der vorläufigen Finanzkennzahlen bewusst verzögert hat – möglicherweise, um sie zeitgleich mit dem Jahresabschluss von Grifols zu veröffentlichen. Das wäre ein Verstoß gegen Transparenzpflichten.

Interviewer: Und die zweite Sonderprüfung?

Rechtsanwalt Reime:
Sie betrifft mögliche Pflichtverletzungen beim Austausch von Vorstandsmitgliedern – insbesondere beim Ausscheiden von Frau Mendizabal Zubiaga und Herrn Janssen. Der Verdacht: Die Abberufungen könnten auf Druck von Grifols erfolgt sein, also nicht im Interesse der Biotest AG, sondern zugunsten der Konzernmutter.
Zusätzlich soll überprüft werden, ob der neue Vorstand, Herr Dr. Schüttrumpf, der zugleich eine Führungsposition bei Grifols innehat, überhaupt unabhängig und im Sinne der Biotest-Aktionäre agieren kann.

Interviewer: Was bedeutet das alles für die kommende Hauptversammlung?

Rechtsanwalt Reime:
Diese Hauptversammlung wird entscheidend für die zukünftige Struktur und Unabhängigkeit der Biotest AG. Wenn der Formwechsel beschlossen wird, wird Biotest faktisch zu einer kontrollierten Tochter von Grifols, ohne dass die Minderheitsaktionäre echte Mitspracherechte behalten.
Die Sonderprüfungen könnten zwar Transparenz schaffen, doch die Machtverhältnisse wären danach zementiert. Anleger müssen sich darauf einstellen, dass die KGaA-Struktur ihre Einflussmöglichkeiten erheblich einschränkt.

Interviewer: Hat dieser Schritt auch Signalwirkung über Biotest hinaus?

Rechtsanwalt Reime:
Ja, durchaus. Die KGaA ist bei Konzernen beliebt, die langfristige Kontrolle sichern und feindliche Übernahmen verhindern wollen – Beispiele sind Fresenius oder Henkel. Wenn Biotest den Formwechsel erfolgreich vollzieht, könnte das weitere börsennotierte Unternehmen inspirieren, ähnliche Wege zu gehen.
Für Anleger bedeutet das jedoch: Sie müssen künftig noch genauer hinschauen, wenn sich ein Unternehmen auf diese Struktur umstellt – denn sie verlieren dabei oft mehr Rechte, als ihnen bewusst ist.

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