In einer Welt, in der Innovation oft mit Hightech und Millionen-Investitionen gleichgesetzt wird, zeigen einige indische Start-ups, dass es auch anders geht – günstig, pragmatisch und lebensverändernd. Sie betreiben sogenannte „frugale Innovation“: einfache, aber wirkungsvolle Lösungen für reale Probleme, oft mit sehr begrenzten Mitteln.
Ein Kühlschrank aus Lehm
Für Mansukh Prajapati, einen Töpfer aus dem westindischen Bundesstaat Gujarat, begann alles mit einem Erdbeben im Jahr 2001. Sein Haus – und sein Lager voller Tongefäße – wurden zerstört. Ein Journalist nannte es „der Kühlschrank der Armen ist zerbrochen“.
Dieser Satz ließ ihn nicht los. Denn Tonkrüge, so Prajapati, halten Wasser kühl – wie ein Kühlschrank, nur ohne Strom.
Ohne technische Ausbildung experimentierte er jahrelang und häufte dabei 22.000 US-Dollar Schulden an. Doch nach vier Jahren hatte er Erfolg:
Ein kleiner, tonverkleideter Kühlschrank mit Wasserbehälter auf dem Dach, der durch Verdunstungskälte Obst und Gemüse bis zu fünf Tage lang frisch hält – ganz ohne Strom.
Sein Name: MittiCool, zu Deutsch etwa „Der kühle Ton“.
Preis: ca. 95 Dollar. Inzwischen verkauft er über 300 Geschäfte in Indien und exportiert nach Großbritannien, Kenia und in die Vereinigten Arabischen Emirate.
„Ein Kühlschrank ist für viele arme Familien ein Traum – und dieser Traum sollte erreichbar sein“, sagt Prajapati.
Lotus-Seide aus Manipur
In Indiens Nordosten hat die Botanikerin Bijayshanti Tongbram einen anderen Weg gefunden, aus regionalem Überfluss Nutzen zu ziehen.
In ihrem Dorf Thanga am Loktak-See wachsen Lotusblumen in Hülle und Fülle. Doch deren Stängel wurden bisher einfach weggeworfen. Tongbram entwickelte ein Verfahren, um seidige Fasern aus den Stängeln zu gewinnen – aufwendig, aber lohnenswert.
Heute beschäftigt sie 30 Frauen, die aus den Fasern Garn spinnen und nach zwei Monaten Arbeit und 9.000 Lotus-Stängeln einen einzigen Schal herstellen.
Ziel sei es, nicht nur Mode zu produzieren, sondern den Frauen ihres Dorfes eine Alternative zum Fischfang zu bieten – mit einem Einkommen von etwa 80 US-Dollar im Monat.
Ein smarter Stock für blinde Landwirte
Im südindischen Bundesstaat Karnataka tüftelt Girish Badragond an einem intelligenten Stock für sehbehinderte Landwirte. Mithilfe von Bodensensoren, Wetterdaten und Vibrationssignalen kann das Gerät Informationen über Erntebedingungen geben – ganz ohne Bildschirm.
„Viele Blinde wollen Landwirtschaft betreiben, aber sie können sich nicht darauf verlassen, dass andere ihnen alles erklären. Dieser Stock gibt ihnen Unabhängigkeit“, sagt Badragond.
Noch ist sein Produkt ein Prototyp, doch er hofft auf Unterstützung durch Regierung oder Investoren.
Frugale Innovation als soziale Bewegung
Laut Professor Anil Gupta vom Honeybee Network, das solche Innovationen unterstützt, geht es bei „frugaler Innovation“ nicht nur um Technik, sondern um eine Haltung:
„Es ist eine Geisteshaltung, die sagt: Wie kann ich Lösungen erschwinglich, zugänglich und sinnvoll für diejenigen machen, die sie am dringendsten brauchen?“
Das Problem: Viele dieser Start-ups finden keinen Zugang zu Finanzierung. Die Förderprogramme seien da, aber oft schwer zugänglich – und klassische Investoren würden lieber in Software als in Tontöpfe investieren.
Kreativität aus Mangel
Ob Tonkühlschrank, Lotus-Seide oder ein digitaler Stock: Diese Innovationen zeigen, dass Not auch erfinderisch macht – im besten Sinne.
Sie bieten Arbeitsplätze, lösen reale Probleme und schaffen Wertschöpfung direkt in ländlichen Regionen.
Und sie stellen die Frage: Muss Innovation wirklich teuer sein?
Die Antwort aus Indien: Nein – aber sie muss nützlich sein.
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