Ganz Indien steht in diesen Tagen im Zeichen des Lichts – und des Nebels. Millionen Menschen im ganzen Land feiern Diwali, das Fest des Sieges von Gut über Böse, von Licht über Dunkelheit. Die Häuser sind geschmückt, Straßen erstrahlen im warmen Glanz von Öllampen, Kerzen und elektrischen Girlanden, Familien kommen zusammen, Geschenke und Süßigkeiten wechseln die Hände. Doch über allem liegt – wortwörtlich – eine graue Wolke: giftiger Smog, dicker als der festliche Weihrauch.
Das Lichterfest Diwali gehört nicht nur für Hindus, sondern auch für Sikhs und Jains zu den wichtigsten religiösen Feiertagen des Jahres. Es markiert für viele den Beginn des neuen Jahres, ein Moment der Reinigung und Hoffnung. Doch ausgerechnet die Art, wie dieses Licht gefeiert wird – mit Millionen von Feuerwerkskörpern – lässt Indien jedes Jahr in einen Dunst aus Feinstaub und Rauch tauchen.
Grüne Böller, grauer Himmel
Nach fünf Jahren striktem Verbot hat das Oberste Gericht Indiens in diesem Jahr wieder den Verkauf sogenannter „grüner Feuerwerkskörper“ erlaubt. Diese sollen laut Herstellern bis zu 30 Prozent weniger Schadstoffe ausstoßen als herkömmliche Knallkörper. Doch Umweltschützer reagieren skeptisch. „Grüne Feuerwerkskörper sind eher eine Marketingidee als eine echte Lösung“, sagt ein Vertreter der Umweltorganisation „Centre for Science and Environment“.
In der Praxis seien die „umweltfreundlichen“ Alternativen kaum von den alten Böllern zu unterscheiden. Viele Verkäufer mischten ohnehin normale Ware unter die „grünen“ Produkte. Die Behörden haben kaum Möglichkeiten, das effektiv zu kontrollieren – und so explodieren in den Straßen von Delhi, Mumbai und Jaipur Tausende Raketen, als wäre nie ein Verbot ausgesprochen worden.
Smog-Glocke über der Hauptstadt
Wie jedes Jahr ist Delhi das Epizentrum des Problems. Schon am Morgen nach Diwali meldete das Luftanalyseunternehmen IQAir einen PM2,5-Wert von über 250 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft – das entspricht dem 16-fachen des von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfohlenen Grenzwerts.
Die dichte Mischung aus Rauch, Abgasen, Industrieemissionen und Feldbrandpartikeln legt sich wie eine giftige Decke über die 30-Millionen-Metropole. Schulen müssen Fenster geschlossen halten, Flugzeuge starten verspätet, und viele Menschen tragen Atemmasken – nicht wegen Corona, sondern wegen der Luft, die sie atmen.
Gesundheitsgefahr in der Festzeit
Ärzte in der Hauptstadt schlagen Alarm. In den Tagen nach Diwali steigt die Zahl der Asthma- und Bronchitisfälle in den Notaufnahmen sprunghaft an. Besonders Kinder, Ältere und Menschen mit Vorerkrankungen sind betroffen. „Es ist ein Paradoxon“, erklärt eine Ärztin aus Neu-Delhi. „Wir feiern das Licht und das Leben – und vergiften dabei buchstäblich unsere eigene Luft.“
Viele Kliniken empfehlen inzwischen, während der Festtage Luftreiniger in den Wohnungen zu nutzen oder Reisen in weniger belastete Regionen zu erwägen. Doch für Millionen Familien ist das keine Option – Diwali ist ein Familienfest, das man gemeinsam zu Hause feiert, egal wie dick der Smog hängt.
Zwischen Tradition und Verantwortung
Diwali ist für die meisten Inderinnen und Inder mehr als nur ein Feiertag – es ist ein Symbol ihrer kulturellen Identität. Dennoch wächst die Zahl jener, die die Art des Feierns kritisch sehen. In sozialen Netzwerken kursieren Kampagnen unter Hashtags wie #SayNoToCrackers oder #CleanDiwali, die dazu aufrufen, das Fest umweltfreundlicher zu gestalten – mit Lampen statt Böllern, Meditation statt Explosion.
Einige Städte experimentieren bereits mit neuen Formen der Feier: In Bangalore und Pune wurden in diesem Jahr öffentliche Lichtshows veranstaltet, die Laserprojektionen und Musik mit traditionellen Ritualen verbanden – ganz ohne Feuerwerk. Die Resonanz war positiv, doch in den meisten Regionen bleibt die Liebe zum Knall ungebrochen.
Ein Fest der Widersprüche
So bleibt Diwali, das Fest des Lichts, auch ein Fest der Widersprüche: Millionen feiern Hoffnung, Familie und Erneuerung – und ersticken gleichzeitig im Rauch ihrer eigenen Freude. Zwischen Öllampen und Feuerwerkskörpern steht Indien einmal mehr vor der Frage, wie Tradition und Umweltschutz zusammenpassen sollen.
Während die Lichter langsam verlöschen, bleibt der Smog noch tagelang in der Luft hängen – als graue Erinnerung daran, dass jede Feier ihren Preis hat.
Fazit:
Indien glänzt im Licht von Millionen Lampen – und versinkt zugleich in seinem eigenen Nebel. Diwali zeigt, wie eng in einer modernen Gesellschaft Kultur, Glaube und Umwelt miteinander verwoben sind. Das Fest der Lichter bleibt ein Symbol der Hoffnung – vielleicht auch darauf, dass das Land eines Tages Wege findet, zu feiern, ohne zu ersticken.
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