Frage:
Herr Rechtsanwalt Blazek, die artnet AG hat ihre Aktionäre zu einer außerordentlichen Hauptversammlung am 20. November 2025 eingeladen. Hauptthema ist die Übertragung der Aktien der Minderheitsaktionäre auf die Leonardo Art Holdings GmbH. Können Sie kurz erklären, was das bedeutet?
Daniel Blazek:
Ja, gern. Die Einladung beschreibt einen sogenannten Squeeze-out gemäß §§ 327a ff. Aktiengesetz. Das ist ein gesetzlich geregeltes Verfahren, mit dem ein Hauptaktionär, der mindestens 95 Prozent der Anteile einer Aktiengesellschaft hält, die übrigen Minderheitsaktionäre zwangsweise gegen Zahlung einer Barabfindung aus dem Unternehmen ausschließen kann. In diesem Fall hält die Leonardo Art Holdings GmbH rund 95,42 Prozent der artnet-Aktien und erfüllt damit die Voraussetzung, um dieses Verfahren einzuleiten.
Frage:
Was passiert konkret, wenn die Hauptversammlung den Beschluss fasst?
Daniel Blazek:
Wenn die Hauptversammlung am 20. November den Beschluss mehrheitlich annimmt – was sehr wahrscheinlich ist, da der Hauptaktionär ja über eine klare Mehrheit verfügt – werden alle übrigen Aktien auf die Leonardo Art Holdings GmbH übertragen. Die Minderheitsaktionäre verlieren dann ihre Beteiligung an der artnet AG und erhalten im Gegenzug eine Barabfindung in Höhe von 11,16 Euro je Aktie.
Frage:
Wie wird diese Barabfindung festgelegt, und wer prüft, ob sie angemessen ist?
Daniel Blazek:
Die Höhe der Abfindung wird zunächst vom Hauptaktionär vorgeschlagen, in diesem Fall von der Leonardo Art Holdings GmbH. Zur Ermittlung des Unternehmenswerts wurde ein Gutachten durch die RSM Ebner Stolz erstellt. Zusätzlich bestellt das Landgericht Berlin einen unabhängigen sachverständigen Prüfer – hier die IVA Valuation & Advisory AG unter Leitung von Andreas Creutzmann –, die prüft, ob die festgesetzte Abfindung angemessen ist. Beide Berichte liegen inzwischen vor und bestätigen die Angemessenheit des Betrags von 11,16 Euro pro Aktie.
Frage:
Können Minderheitsaktionäre gegen diesen Squeeze-out vorgehen, wenn sie den Preis für zu niedrig halten?
Daniel Blazek:
Ja, sie haben die Möglichkeit, eine sogenannte Spruchverfahren-Klage einzureichen. Dieses Verfahren dient dazu, die Angemessenheit der Barabfindung gerichtlich überprüfen zu lassen. Das bedeutet: Auch wenn der Beschluss nach der Eintragung in das Handelsregister wirksam wird und die Aktien tatsächlich übertragen sind, kann das Gericht nachträglich feststellen, dass die Abfindung zu niedrig war – und dann eine Nachzahlung anordnen.
Frage:
Wie realistisch ist es, dass solche Nachzahlungen erfolgen?
Daniel Blazek:
Das kommt auf die Bewertungsgrundlagen an. Erfahrungsgemäß wird in vielen Spruchverfahren eine leicht höhere Abfindung nachträglich festgelegt, etwa wegen geänderter Bewertungsparameter oder anderer Unternehmensdaten. Es gibt aber auch zahlreiche Fälle, in denen der ursprünglich festgelegte Betrag bestätigt wird. Die Anleger sollten also genau prüfen, ob sie sich einer Sammelklage anschließen möchten, falls ein solches Verfahren initiiert wird.
Frage:
Was bedeutet die Übertragung für artnet selbst? Ändert sich dadurch etwas am operativen Geschäft?
Daniel Blazek:
Für das operative Geschäft zunächst nicht unmittelbar. Der Squeeze-out dient in erster Linie dazu, die Gesellschaft vollständig unter Kontrolle des Hauptaktionärs zu bringen. Danach kann dieser Entscheidungen ohne Rücksicht auf Minderheitsaktionäre treffen, etwa Umstrukturierungen, einen möglichen Börsenrückzug oder strategische Neuausrichtungen. Für die bisherigen Minderheitsaktionäre bedeutet das allerdings den vollständigen Verlust ihrer Stellung als Miteigentümer.
Frage:
Wie sollten betroffene Kleinanleger jetzt vorgehen?
Daniel Blazek:
Sie sollten die Unterlagen auf der Website von artnet sorgfältig prüfen – insbesondere die Bewertungsberichte von RSM Ebner Stolz und der IVA Valuation & Advisory AG. Wer Zweifel an der Bewertung hat oder die Abfindung für zu niedrig hält, kann sich mit anderen Aktionären oder spezialisierten Anwälten zusammenschließen, um ein Spruchverfahren anzustrengen. Wichtig ist, dass sie nach Eintragung des Beschlusses ins Handelsregister ihre Ansprüche fristgerecht geltend machen.
Frage:
Wie ist Ihre persönliche Einschätzung dieses Vorgangs?
Daniel Blazek:
Der Squeeze-out ist ein übliches und rechtlich zulässiges Instrument, um Mehrheitsbeteiligungen zu konsolidieren. Entscheidend ist jedoch, dass die Minderheitsaktionäre fair entschädigt werden. Eine Barabfindung von 11,16 Euro sollte daher kritisch mit dem tatsächlichen Unternehmenswert verglichen werden. Die von unabhängigen Prüfern bestätigte Angemessenheit ist ein gutes Zeichen – aber die Praxis zeigt, dass Gerichte in Spruchverfahren mitunter zu abweichenden Ergebnissen kommen. Anleger sollten die Entwicklung daher aufmerksam verfolgen.
Frage:
Vielen Dank, Herr Blazek, für die Einordnung und die klaren Hinweise für betroffene Anleger.
Daniel Blazek:
Gern geschehen.
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