Die süß-scharfen Hähnchenflügel von Daniel Lee zogen früher regelmäßig koreanische Arbeiter aus dem nahegelegenen Hyundai-Werk in sein Restaurant „92 Chicken“. Seit einer groß angelegten Razzia durch US-Einwanderungsbehörden vor zwei Monaten sind die Plätze leerer – und die Stimmung gedrückt.
Mehr als 300 koreanische Arbeitskräfte wurden bei der Aktion in Handschellen gelegt, festgekettet und in Gewahrsam genommen. US-Präsident Donald Trump distanzierte sich später öffentlich von der Aktion, obwohl sie unter seiner Administration durchgeführt wurde. Die Arbeiter wurden nach wenigen Tagen wieder freigelassen und zurück nach Südkorea geflogen – doch die Auswirkungen sind weiterhin spürbar, nicht nur in Pooler, sondern auch in Seoul und Washington.
Ein Schock für die koreanisch-amerikanische Community
Der Vorfall sorgt in der koreanisch-amerikanischen Community für Bestürzung und ein Gefühl des Verrats. Viele hatten nicht erwartet, dass legale Gäste mit gültigem Visum – darunter Techniker und Trainer, die zur Inbetriebnahme der Anlage eingereist waren – von einer solchen Maßnahme betroffen sein könnten.
„Ich dachte, Amerika sei wie meine Mutter und Korea wie mein Vater“, sagte Daniel Lee. „Jetzt fühlt es sich an, als würden sich meine Eltern streiten.“
Laut dem Einwanderungsanwalt Charles Kuck befanden sich die meisten der festgenommenen Personen mit B-1-Visa oder Visa-Waivern rechtmäßig im Land. Der eigentliche Durchsuchungsbefehl hatte sich ursprünglich auf vier hispanische Arbeiter bezogen, die im Verdacht standen, sich illegal in den USA aufzuhalten.
Doch bei der Aktion am 4. September in der neu entstehenden Hyundai-LG-Batteriefabrik in Bryan County wurden insgesamt 475 Menschen festgenommen – die größte einzelne Razzia in der Geschichte der US-Einwanderungsbehörde ICE.
Politisches Nachspiel – und wirtschaftliche Folgen
Obwohl bislang keine strafrechtlichen Anklagen erhoben wurden, gilt die Maßnahme als diplomatischer Affront. Besonders, da Südkorea mit milliardenschweren Investitionen und jahrzehntelanger Partnerschaft als einer der wichtigsten Verbündeten der USA gilt.
Die betroffene Hyundai-Fabrik ist ein 8-Milliarden-Dollar-Projekt, das jährlich 500.000 Elektrofahrzeuge produzieren und über 8.000 Arbeitsplätze schaffen soll. Nach Angaben von Hyundai-Chef José Muñoz wird sich die Eröffnung nun um zwei bis drei Monate verzögern.
Bei einem Asienbesuch Ende Oktober bemühte sich Präsident Trump um Schadensbegrenzung. Er bezeichnete die Razzia als „nicht notwendig“ und zeigte sich bereit, die Arbeiter wieder einreisen zu lassen – nur einer nahm das Angebot an.
Vertrauensverlust in der Community
Für viele Koreanisch-Amerikaner bleibt ein bitterer Nachgeschmack. „Zu sagen, dass es ein Gefühl des Verrats gibt, ist eine Untertreibung“, sagte Mark Keam, Präsident des Korean American Institute.
Keam, selbst eingebürgerter US-Bürger, war Abgeordneter in Virginia und Berater für die Regierungen Biden und Clinton. Er spricht von einem Wiederaufflammen des „permanenten Fremdheitsgefühls“, das viele Asiatisch-Amerikaner kennen – egal wie lange sie in den USA leben oder welche Pässe sie besitzen.
„Diese Razzia war der Auslöser, der alte Sorgen wieder hochkommen ließ“, so Keam. Überall, wo er zuletzt unterwegs war – ob in Seattle, Chicago oder New York – sei das Thema präsent gewesen.
Leere Tische, neue Rezepte
Zurück in Pooler kämpft Daniel Lee mit den Folgen: Sein Umsatz ist seit der Razzia um etwa 20 Prozent eingebrochen.
„Die Gäste sind weg, das Geschäft erholt sich überhaupt nicht“, sagte Lee. Der Unternehmer, der 15 Jahre selbst bei Hyundai arbeitete, bevor er sein Restaurant eröffnete, versucht nun, das Menü umzubauen – weniger scharf, mehr amerikanisch.
„Die lokalen Kunden mögen’s etwas salziger und süßer“, sagt er. „Wir müssen anpassen, was auf die Karte kommt.“ Bitter sei er nicht – aber entschlossen: „Ich kann die Entscheidungsträger nicht ändern. Aber ich kann mein Angebot ändern.“
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