GAS-Not-Fall-Plan der EU

Auf Wirtschaft, Verbraucherinnen und Verbraucher in der EU könnten angesichts der drohenden Gaskrise erhebliche Energiesparmaßnahmen zukommen. Ein Entwurf für einen Notfallplan der Europäischen Kommission sieht etwa vor, dass öffentliche Gebäude, Büros und kommerzielle Gebäude ab Herbst bis maximal 19 Grad beheizt werden sollen.

„Jetzt handeln kann die Auswirkungen einer plötzlichen Versorgungsunterbrechung um ein Drittel reduzieren“, heißt es in dem Text, der dpa vorliegt. Es gebe mittlerweile ein „erhebliches Risiko“, dass Russland in diesem Jahr Gaslieferungen nach Europa stoppt.

Unternehmen, die Gas ersetzen können, sollten ihren Verbrauch reduzieren, heißt es weiter. Ziel sei es, Industrien zu schützen, die für die Lieferketten und die Wettbewerbsfähigkeit besonders wichtig sind. Auch Haushalte werden dazu aufgerufen, freiwillig weniger zu verbrauchen. „Jeder kann Gas sparen, jetzt“, schreibt die EU-Kommission.

Für die Zeit von Oktober bis März schlägt die EU-Kommission nach dem Entwurf, der der Nachrichtenagentur AFP vorliegt, zudem umfangreiche Gaseinsparkampagnen vor. Damit sollen Privathaushalte aufgerufen werden, den „Thermostat um ein Grad herunterzudrehen“. „Je höher die Reduzierung durch freiwillige Maßnahmen ist, desto geringer ist die Notwendigkeit obligatorischer Einschränkungen für die Industrie.“

Bereits bestehende Regeln sehen vor, dass bei Gasknappheit Haushalte und etwa Krankenhäuser priorisiert würden. Wenn die Stromproduktion in Gefahr sei, könnten Länder jedoch die Versorgung von Gaskraftwerken für die Stromversorgung über bestimmte geschützte Verbraucher stellen, heißt es. Der Plan kann sich noch ändern und soll voraussichtlich am Mittwoch offiziell vorgestellt werden.

Simulationen der Regulierungsbehörde ENTSO-G haben laut dem Text ergeben, dass ein Lieferstopp im Juli dazu führen würde, dass die Gasspeicher nicht ausreichend befüllt werden könnten und somit im Winter sowie im nächsten Jahr noch Knappheit herrschen könnte. Käme eine Unterbrechung im Oktober oder später, gäbe es weniger Risiken für die Nachfrage im Winter. Man hätte dann aber weniger Zeit zu reagieren. Die Auswirkungen für die Mitgliedsstaaten hingen davon ab, wie abhängig sie von russischem Gas seien, heißt es. Deutschland gehört hier zu den am stärksten betroffenen Ländern.

Nach Angaben der Kommission hat sich die Gasversorgung vonseiten Russlands bereits drastisch verringert. Insgesamt entsprächen die Gasflüsse mittlerweile weniger als 30 Prozent des Durchschnitts 2016 bis 2021, heißt es in dem Entwurf. Das habe zu historisch hohen Energiepreisen geführt und die Inflation in die Höhe getrieben. Es gebe keine Hinweise, dass sich die Situation verbessern werde. Sie werde sich eher verschlechtern.
Habeck bei Gewessler: Solidarität vereinbart

Deutschland und Österreich vereinbarten unterdessen bereits gegenseitige Solidarität im Gasnofall. Der deutsche Vizekanzler und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) unterzeichnete mit Klimaministerin Leonore Gewessler (Grüne) am Dienstag in Wien eine gemeinsame Erklärung. Berlin und Wien wollen im Fall des Ausbleibens russischer Energielieferungen auf gegenseitige Hilfe setzen. Davon sollen im Notfall beide Länder profitieren.

Der russische Angriffskrieg in der Ukraine hat für Europas Grüne manche kuriose Situation zur Folge, etwa wenn sich zwei zentraleuropäische Regierungsmitglieder darüber beraten, mehr Erdgas zu erhalten. Habeck vereinbarte am Dienstag in Wien ein Solidaritätsabkommen mit Gewessler. Ein ähnliches Dokument hatte Habeck am Montag bereits in Prag unterzeichnet. Das Ziel soll gegenseitige Hilfe im Notfall sein. Für den Fall des Falles will man vorbereitet sein.

In weiterer Folge soll auch die Unabhängigkeit von russischen Energielieferungen vorangetrieben werden. Erst dann gebe es Sicherheit, so Gewessler bei der anschließenden Pressekonferenz mit Habeck. Das Ziel der Unabhängigkeit durch erneuerbare Energie sei auch nur zusammen erreichbar, so die beiden unisono. Die gemeinsame Erklärung umfasse drei Punkte, sagte Gewessler.

Zum Ersten gehe es um die Durchleitungsrechte: Tirol und Vorarlberg werden über das deutsche Netz versorgt, und das solle auch im Falle eines Gasmangels so bleiben. Weiters ging es um die Nutzung der Erdgasspeicher, vor allem des Speichers Haidach. Auch für Teile Deutschlands seien die Speicher ein „wichtiger Sicherheitspuffer“, so Gewessler. Daher gebe es eine bilaterale Vereinbarung zur Befüllung.

Der dritte Punkt sehe gemeinsame Anstrengungen zur Diversifizierung der Gasversorgung vor. Deutschland habe durch seine geografische Lage die Möglichkeit für LNG-Terminals, Österreich nicht. Daher wolle man die heimischen Unternehmen ermutigen, sich an LNG-Terminals zu beteiligen. „Dazu gibt es meine volle politische Unterstützung“, so Gewessler.
Geben und Nehmen

Die Gassolidarität zwischen Deutschland und Österreich, Vorsorge und Koordination in der Krise seien das zentrale Thema, sagte die Ministerin. Man müsse sich auf EU-Ebene auch über die gemeinsame Beschaffung Gedanken machen und die vorhandenen Kapazitäten sinnvoll nutzen. Damit verhindere man auch, das die Länder sich gegenseitig die Energiepreise hochtrieben, so Gewessler. Das sei besonders für das Binnenland Österreich bedeutsam, so Gewessler.

Deutschland will den Import von Flüssiggas vorantreiben, aktuell sind dafür vier schwimmende Terminals vorgesehen. Zwei davon sollen bis Jahresende in Betrieb gehen, die anderen beiden erst im Frühjahr 2023. Zudem sind für die kommenden Jahre mindestens zwei stationäre LNG-Terminals geplant. Derzeit gibt es zu LNG-Terminals in Frankreich, den Niederlanden und Belgien direkte Infrastrukturverbindungen nach Deutschland.

Der Ukraine-Krieg habe am politischen Horizont dunkle Wolken hervorgerufen, sagte Habeck. „Wir sind aber nicht hilflos ausgeliefert, man kann immer Gegenmaßnahmen ergreifen.“ Kein Land allein sei aber stark genug, um die jetzige Situation zu überstehen, appellierte er an die europäische Solidarität. Auch Deutschland sei auf andere Länder angewiesen. So habe man zwar die Möglichkeit der LNG-Terminals, doch brauche man die Energie hierfür von Belgien und den Niederlanden. Daraus ergebe sich die Verpflichtung, das Gas auch weiter zu verteilen. Auch Habeck betonte die Bedeutung, in weiterer Folge unabhängig von russischer Energie zu werden. „Hier gibt es nun eine neue Allianz aus Autarkie und Klimaschutz.“

Habeck will aber die Industrie bei dauerhaft fehlenden Gasmengen nicht automatisch benachteiligen. Der Schutzgedanke „Frieren soll niemand“ sei richtig, wenn es eine kurzfristige Störung der Versorgung gibt. „Das ist aber nicht das Szenario, das wir jetzt im Moment haben, sondern wir gehen ja möglicherweise von einer monatelangen Unterbrechung aus“, sagte der deutsche Minister. Es solle zwar auch in diesem Fall niemand frieren, aber die privaten Haushalte sollten einen Anteil leisten, denn ein monatelanger Stillstand in der Industrieproduktion hätte schwere Folgen für die Menschen im Land.

Putins Kurs „written on the wall“

Gewessler und Habeck übten auch Kritik an der früheren Russland-Politik ihrer jeweiligen Länder. Die deutsche Politik wie auch Unternehmen hätten sich in die starke Abhängigkeit begeben, als der Kurs von Kreml-Chef Wladimir Putin nach der völkerrechtswidrigen Annexion der Halbinsel Krim bereits „written on the wall“ gewesen sei, also deutlich erkennbar, so Habeck. „Da sind wir in einer ähnlichen Lage“, sagte Gewessler. „Das ist die Situation, mit der wir nun arbeiten müssen.“ Die EU habe aber gezeigt, dass sie schnell und effizient reagieren könne.
Habeck ruft Bevölkerung zum Gassparen auf

In Deutschland werden unterdessen bereits die Haushalte zum Gassparen aufgefordert. Im Falle einer Gasmangellage müssen aus Sicht des deutschen Wirtschaftsministeriums alle Verbraucher Beiträge zum Energiesparen leisten. Das habe Habeck deutlich gemacht, sagte eine Sprecherin am Mittwoch der dpa. Klar sei, „dass im Fall einer Gasmangellage alle Verbraucher einen Beitrag zum Energiesparen leisten müssen“. Dafür brauche es dann auch Standards zum Energiesparen, hieß es weiter aus dem Ministerium.

Über das deutsche Energiesicherungsgesetz könnte die deutsche Regierung Verordnungen zur Energieeinsparung erlassen. Dabei könnte es zum Beispiel darum gehen, Vorgaben zu Mindesttemperaturen beim Heizen abzusenken.

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