Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (Az. 9 U 5/24) hat mit Urteil vom 29. April 2025 entschieden, dass bei einem Auffahrunfall nach einem abrupt abgebrochenen Fahrstreifenwechsel eine hälftige Haftungsverteilung gerechtfertigt ist. Der für gewöhnlich gegen den Auffahrenden sprechende Anscheinsbeweis greife in diesem Fall nicht, so das Gericht in seiner heute veröffentlichten Entscheidung.
Der Unfallhergang
Im Sommer 2021 befuhr der Fahrer eines bei der Klägerin versicherten Ford Ranger die linke von drei Fahrspuren der A45. Wegen einer Baustelle reduzierte sich die Fahrbahn auf zwei Spuren. Der Ford-Fahrer begann einen Spurwechsel auf die mittlere Fahrspur, brach diesen jedoch nach etwa der Hälfte ab und scherte wieder nach links ein. Dort kam er – ebenso wie das vorausfahrende Fahrzeug – kurzfristig zum Stillstand.
Der hinter dem Ford fahrende Beklagte konnte nicht mehr rechtzeitig bremsen und fuhr auf. Es entstand ein Sachschaden von rund 60.000 Euro.
Erstinstanzliche Entscheidung und Berufung
Das Landgericht Gießen (Az. 9 O 275/23) hatte dem klagenden Versicherer eine Haftungsquote von 80 % zugesprochen. Auf die Berufung hin reduzierte das OLG Frankfurt diese Quote nun auf 50 %.
Begründung des OLG Frankfurt
Der Senat begründete die Entscheidung damit, dass der üblicherweise gegen den Auffahrenden sprechende Anscheinsbeweis in dieser Konstellation nicht greife. Das Unfallgeschehen sei atypisch: Der Fahrer des Ford habe einen bereits zur Hälfte vollzogenen Fahrspurwechsel spontan abgebrochen und sei ohne vorheriges Blinken wieder auf die linke Spur eingeschert – direkt vor das Fahrzeug des Beklagten, das anschließend auffuhr.
Der Ford-Fahrer habe eingeräumt, das hinter ihm fahrende Fahrzeug gar nicht gesehen zu haben. Dies deute darauf hin, dass er keine Rückschau gehalten habe, was seine Sorgfaltspflicht verletze. Zudem sei nicht ersichtlich, dass er sein Manöver durch Blinken angezeigt habe.
Zugleich sah das Gericht kein alleiniges Verschulden des Ford-Fahrers, da die Verkehrslage durch die Baustelle und das hohe Verkehrsaufkommen unklar gewesen sei. In einer solchen Situation müsse man grundsätzlich mit plötzlichen Spurwechseln oder Bremsmanövern rechnen, so das OLG.
Rechtsmittel möglich
Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig. Es besteht die Möglichkeit, innerhalb eines Monats eine Nichtzulassungsbeschwerde beim Bundesgerichtshof einzulegen, um eine Revision zu erreichen.
Aktenzeichen:
OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 29.04.2025 – 9 U 5/24
LG Gießen, Urteil vom 27.11.2023 – 9 O 275/23
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