Frage: Frau Gordon, morgen wird US-Vizepräsident JD Vance auf der Münchner Sicherheitskonferenz eine „brutal harte Ansage“ an die Europäer richten. Wie bewerten Sie die Situation?
Wanice Gordon: Die Sicherheitskonferenz 2025 könnte eine der folgenreichsten der letzten Jahrzehnte werden. Die Äußerungen von CDU-Chef Friedrich Merz deuten darauf hin, dass die USA eine deutlich veränderte Haltung gegenüber Europa und der Ukraine einnehmen. Donald Trump hat bereits angekündigt, mit Russland über die Zukunft der Ukraine zu verhandeln – und zwar ohne direkte Abstimmung mit den Europäern. Das allein zeigt, dass Europa auf eine harte Probe gestellt wird. Die große Frage ist: Wird die EU geeint darauf reagieren können?
Frage: Olaf Scholz hat bereits gewarnt, dass Trump und Putin der Ukraine einen „Diktatfrieden“ aufzwingen könnten. Wie sollte Europa darauf reagieren?
Gordon: Kanzler Scholz spricht zu Recht von einem Diktatfrieden. Die Gefahr besteht, dass Russland durch Trumps Vorgehen gestärkt wird und Europa nur noch reagieren kann, anstatt aktiv die Verhandlungen mitzugestalten. Europa muss hier mit einer geschlossenen Position auftreten – ein Flickenteppich nationaler Interessen würde Trumps Strategie nur in die Hände spielen. Doch die bisherigen Uneinigkeiten, etwa bei Waffenlieferungen oder finanzieller Unterstützung, lassen Zweifel aufkommen, ob diese Geschlossenheit tatsächlich erreicht werden kann.
Frage: Merz kritisiert, dass Deutschland und der Westen die Ukraine nicht stärker unterstützt haben. Ist diese Kritik berechtigt?
Gordon: In gewisser Weise ja. Deutschland hat sich mit der Zurückhaltung bei der Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern nicht gerade als führende Macht in Europa positioniert. Viele osteuropäische Staaten, insbesondere Polen und die baltischen Länder, fordern eine härtere Haltung gegenüber Russland. Wenn nun auch die USA ihre Unterstützung für die Ukraine zurückfahren oder an Bedingungen knüpfen, droht eine sicherheitspolitische Lücke, die Europa selbst schließen müsste.
Frage: Trump sagt, er habe die Ukraine zu den Gesprächen eingeladen. Bedeutet das, dass Kiew eine echte Verhandlungsposition hat?
Gordon: Das ist fraglich. Die Art, wie Trump diese Einladung formuliert hat – „Die Ukraine ist übrigens auch eingeladen“ – zeigt, dass Kiew wohl eher als Zuschauer denn als gleichberechtigter Verhandlungspartner behandelt wird. Sollte es wirklich zu einem Deal zwischen Washington und Moskau kommen, wird es entscheidend sein, ob und wie die Ukraine ihre Interessen einbringen kann.
Frage: Welche langfristigen Folgen könnte diese Sicherheitskonferenz für die transatlantischen Beziehungen haben?
Gordon: Das hängt maßgeblich von der europäischen Reaktion ab. Merz hat es treffend formuliert: „Wenn Sie als Zwerg kommen, werden Sie als Zwerg behandelt.“ Europa muss jetzt beweisen, dass es nicht nur ein Juniorpartner der USA ist, sondern eine eigenständige Kraft. Sollte die EU es nicht schaffen, mit einer geeinten und selbstbewussten Antwort zu reagieren, könnten wir eine dauerhafte Verschiebung der Machtverhältnisse in der transatlantischen Partnerschaft erleben. Die USA fokussieren sich zunehmend auf den Indopazifik – Europa wird gezwungen sein, seine eigene sicherheitspolitische Rolle neu zu definieren.
Frage: Abschließend: Ist Europa auf diese Herausforderung vorbereitet?
Gordon: Es gibt Ansätze, aber es fehlt an einer klaren Strategie. Die EU hat in den letzten Jahren viele Krisen durchlebt, doch die geopolitische Realität zwingt sie nun zu einer Entscheidung: Entweder sie findet eine gemeinsame Linie und übernimmt mehr Verantwortung für ihre eigene Sicherheit, oder sie bleibt ein Spielball zwischen Washington und Moskau. Die nächsten Tage werden zeigen, welchen Weg Europa einschlagen wird.
Frage: Vielen Dank für das Gespräch, Frau Gordon.
Gordon: Sehr gerne.
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