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EU-Erweiterung im Stresstest: Montenegro glänzt, Ukraine kämpft mit Reformtempo

jorono (CC0), Pixabay
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Die Europäische Union hat den jüngsten Stand ihrer Erweiterungsstrategie offengelegt – und dabei deutliche Unterschiede zwischen den Bewerberstaaten herausgestellt.
Nach der am Dienstag in Brüssel vorgestellten Analyse von EU-Außenbeauftragter Kaja Kallas und Erweiterungskommissarin Marta Kos ist Montenegro derzeit das fortgeschrittenste Beitrittsland, während die Ukraine wegen eines zu geringen Reformtempos zunehmend in den Fokus der Kritik rückt.

EU-Analyse zeigt: Fortschritte, aber ungleich verteilt

Die von der EU-Kommission erstellte Analyse bewertet die Beitrittsprozesse aller aktuellen Bewerberländer, darunter die Staaten des westlichen Balkans, die Ukraine, Moldau und Georgien.
Sie zeigt, dass der Reformwille zwar grundsätzlich vorhanden ist, das Tempo und die Umsetzung jedoch stark variieren.

Für die Ukraine, die sich seit 2022 offiziell im Beitrittsprozess befindet, lobt Brüssel vor allem die politischen Anstrengungen trotz des anhaltenden russischen Angriffskriegs. EU-Außenbeauftragte Kallas sprach von einem „bemerkenswerten Engagement“ Kiews, das inmitten eines Krieges tiefgreifende Reformen in Justiz, Verwaltung und Wirtschaft angegangen sei.

Gleichzeitig mahnt die EU-Kommission, dass die Schlüsselbereiche Rechtsstaatlichkeit, Korruptionsbekämpfung und Justizreform bislang nicht schnell genug vorankommen.
„Die Ukraine hat außergewöhnliche Fortschritte erzielt, doch es fehlt an Konstanz und Umsetzungstiefe“, heißt es in dem Bericht.

Selbstgestecktes Ziel unter Druck

Die ukrainische Regierung hatte sich selbst das Ziel gesetzt, die Beitrittsverhandlungen bis Ende 2028 abzuschließen – ein äußerst ehrgeiziger Zeitplan.
In Brüssel jedoch warnt man vor überzogenen Erwartungen. Zwar unterstütze man das Ziel, die Integration zu beschleunigen, doch die EU-Kommission weist darauf hin, dass es dafür „eine signifikante Beschleunigung der Reformprozesse“ brauche.
Gerade in Bereichen wie Unabhängigkeit der Gerichte, Medienfreiheit und institutioneller Transparenz sieht die EU noch erheblichen Nachholbedarf.

Trotzdem betont Kallas, dass die Ukraine ein symbolisch starkes Signal sende: „Die Tatsache, dass ein Land im Krieg Reformen vorantreibt, zeigt, dass sein europäischer Weg unumkehrbar ist.“

Montenegro und Albanien bleiben Musterschüler des Westbalkans

Im Gegensatz dazu wird Montenegro als das Vorzeigeland der aktuellen Beitrittsrunde bezeichnet. Das Land habe „substanzielle Fortschritte in fast allen Verhandlungskapiteln“ erzielt, so die Kommission.
Bleibe das Reformtempo konstant, könnten die Verhandlungen bis Ende 2026 abgeschlossen werden – womit Montenegro das erste Land seit Kroatien (2013) wäre, das kurz vor einem EU-Beitritt steht.

Auch Albanien erhält Lob aus Brüssel. Das Land habe „eine solide Dynamik“ entwickelt und könne die Verhandlungen möglicherweise bis 2027 abschließen. Besonders positiv wird dort die Modernisierung der Justiz und die Anpassung an europäische Umweltstandards bewertet.

Ein Abschluss ist kein Beitritt

Die Kommission betonte jedoch, dass selbst ein erfolgreicher Abschluss der Beitrittsverhandlungen noch keine Garantie für einen tatsächlichen EU-Beitritt darstellt.
Denn erst wenn alle 27 Mitgliedstaaten den Beitrittsvertrag einstimmig billigen und ratifizieren, kann ein Land offiziell Teil der Union werden.
In Staaten wie Frankreich oder den Niederlanden könnte dieser Schritt zusätzlich von Referenden oder parlamentarischen Sondervoten abhängen – was den Prozess weiter verzögern könnte.

Doppelte Botschaft aus Brüssel

Mit der neuen Analyse sendet die EU eine klare doppelte Botschaft: Einerseits hält sie an der strategischen Erweiterungspolitik fest, um Stabilität und Demokratie in der Nachbarschaft zu fördern. Andererseits will sie vermeiden, dass die Erweiterung an Glaubwürdigkeit verliert, wenn Beitrittskandidaten zentrale Reformen nur halbherzig umsetzen.

EU-Erweiterungskommissarin Marta Kos sprach in Brüssel von einem „Balanceakt zwischen Offenheit und Konsequenz“.
Man wolle allen Kandidaten eine realistische Perspektive bieten, gleichzeitig aber sicherstellen, dass keine Abstriche bei den europäischen Werten gemacht werden.

Ein langer, aber entscheidender Weg

Für die Ukraine bleibt der EU-Beitritt damit ein strategisches Ziel, aber kein Selbstläufer.
Brüssel signalisiert Unterstützung – politisch, finanziell und militärisch – erwartet aber, dass Kiew den Reformprozess trotz des Krieges institutionell verankert.
Während Montenegro und Albanien ihrem Ziel immer näherkommen, steht die Ukraine noch vor einem langen, aber entscheidenden Weg, um das Versprechen eines europäischen Zukunftsplatzes in die Realität umzusetzen.

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