Über Jahrhunderte hinweg florierte auf den heutigen japanischen Okinawa-Inseln das Ryūkyū-Königreich – und mit ihm eine einzigartige, kulturell vielfältige Küche. Diese fast vergessene Kochkunst erlebt nun ein Comeback – vor allem dank engagierter Frauen, die sie bewahren wollen.
Eine von ihnen ist Yukie Miyaguni, ehemalige Ernährungsberaterin und heute Expertin für Ryūkyū-Küche und traditionelle chinesische Medizin. In ihrer kleinen Küche in der Stadt Uruma, im Süden Japans, bringt sie Besuchern nicht nur das Kochen bei – sie verbindet jedes Gericht mit einem medizinischen Verständnis von Nahrung. „Man kann viel über die Gesundheit eines Menschen erfahren, wenn man sich seine Zunge ansieht“, sagt sie lächelnd – und rät schon mal zu mehr Kakao und Butter, um Kreislauf und Haut zu stärken.
Eine Küche mit jahrhundertelanger Geschichte
Die Ryūkyū-Inseln erstrecken sich über 1.100 Kilometer zwischen Kyūshū und Taiwan. Von 1429 bis 1879 war das Ryūkyū-Königreich ein florierender, halbautonomer Handelsstaat. Die kulinarische Kultur entwickelte sich durch den Austausch mit China, Korea, Siam (heute Thailand) und Japan zu einer raffinierten Fusion aus einheimischen Zutaten wie Bittermelone, Meersalat, lila Süßkartoffel und Zitrusfrucht Shikuwasa sowie ausländischen Einflüssen – etwa fermentierten Gerichten, Heilkräutern und Tees.
Die gehobene Hofküche (Ukwanshin Ryori), einst Staatsgeschenk für ausländische Diplomaten, wurde nach der Eingliederung Okinawas in Japan (1879) auch in ländlicheren Gegenden bekannt. Doch durch den Einfluss amerikanischer Fastfood-Ketten während der US-Besatzung nach dem Zweiten Weltkrieg, wirtschaftlicher Umbrüche und den Verlust alter Traditionen, geriet die Ryūkyū-Küche fast in Vergessenheit.
Die Rückkehr der Tradition durch Frauenhand
Heute setzen sich Frauen wie Miyaguni oder Kazumi Kayo, Kochlehrerin und Botschafterin der Esskultur Okinawas, für den Erhalt dieser Küche ein. Sie bieten Kochkurse an, bringen Einheimischen und Touristen bei, wie man Goya Champuru (Bittermelonen-Pfanne mit Tofu, Ei und Schweinefleisch), Jimami-Tofu (Erdnusstofu), Umibudō (Meerestrauben) oder traditionelle Süßigkeiten wie Chinsuko zubereitet.
„Das war das Essen unserer Vorfahren. Wenn wir so kochen, bewahren wir nicht nur unsere Kultur – wir ehren auch ihr Andenken“, erklärt Miyaguni. Ihre Philosophie beruht auf dem Prinzip „Ishoku Dōgen“ – die Einheit von Nahrung und Heilung. Schon das Ryūkyū-Königshaus ließ im 17. Jahrhundert ein Werk namens Gozen Honzō verfassen, das essbare Pflanzen und ihre medizinischen Wirkungen beschrieb – dieses Buch liegt noch heute in Miyagunis Küche.
Auch Kayo hat durch die Erinnerung an die Küche ihrer Mutter ihre Leidenschaft entdeckt: „Ich wollte die Zubereitung einfacher, nährstoffreicher Zutaten wieder aufleben lassen“, sagt sie. In ihrem Studio Yonner Food in Naha bringt sie Schülern nicht nur Rezepte bei – sie besucht mit ihnen auch lokale Märkte, um die Herkunft der Zutaten greifbar zu machen. „Yonner“ bedeutet in der Okinawa-Sprache so viel wie „langsam“ – die Essenz des langsamen, bewussten Kochens.
Gesundheit in Gefahr – Küche als Lösung?
Okinawa galt lange als „Insel der Hundertjährigen“, doch diese Entwicklung kehrt sich langsam um. Die zunehmende westliche Ernährung bringt mehr Zivilisationskrankheiten mit sich. Mit Programmen wie „Ryukyuan Cuisine Masters“ versucht die Präfekturregierung seit 2016, die Ernährung zu verbessern und gleichzeitig die alte Küche zu bewahren. Köche werden ausgebildet, Rezepte dokumentiert und Kochkurse unterstützt.
Seit 2019 ist die Ryūkyū-Küche sogar offiziell als nationales Kulturerbe Japans anerkannt. Das Netzwerk zur Bewahrung dieser Tradition wächst – mit neuen Restaurants, Hauskochkursen und Touren für Touristen. So führt z. B. Junko Yokoo mit ihrer „Blue Zone Home Cooking Tour“ Besucher in private Küchen wie die von Hiromi Nerome, wo Rezepte der Vorfahren direkt erlebt werden können.
„Wenn die Ryūkyū-Küche verschwindet, verlieren wir unsere Identität“
Diese Aussage von Kazumi Kayo bringt die Sorge vieler Einheimischer auf den Punkt. Essen ist nicht nur Nahrung, sondern kulturelles Gedächtnis. Durch Workshops, Tourismusangebote und lokale Initiativen hoffen die Frauen Okinawas, dass ihre traditionsreiche Küche nicht nur im Inland, sondern auch international neue Anerkennung findet.
„Die Ryūkyū-Küche ist einfach, aber sie erzählt eine Geschichte – von Natur, Handel, Heilkunst und Gemeinschaft. Wenn wir sie verlieren, verlieren wir einen Teil unserer Seele“, sagt Miyaguni. Und so wird in kleinen Küchen und mit einfachen Zutaten das Erbe eines einst mächtigen Inselreiches Tag für Tag neu bewahrt.
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