Interview mit dem Rechtsanwalt Jens Reime zur Operation Herakles und dem Kampf gegen Cybertrading-Fraud
Frage: Herr Reime, die Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe, das LKA Baden-Württemberg und die BaFin haben im Rahmen der „Operation Herakles“ über 1.400 betrügerische Domains stillgelegt. Wie bewerten Sie diesen Schlag gegen den internationalen Cyberbetrug?
Jens Reime: Das ist ein bedeutender Erfolg – nicht nur symbolisch, sondern auch ganz konkret im Schutz potenzieller Opfer. Derartige Operationen zeigen, dass der Staat handlungsfähig ist und auf international vernetzte Cyberkriminalität reagieren kann. Über 1.400 betrügerische Seiten abzuschalten, bedeutet auch: Tausende Anlegerinnen und Anleger wurden wahrscheinlich vor massiven finanziellen Verlusten bewahrt.
Frage: Die Ermittler sprechen von „Cybertrading-Fraud“. Was ist darunter genau zu verstehen?
Reime: Beim Cybertrading-Fraud handelt es sich um eine besonders perfide Form des Anlagebetrugs. Die Täter bauen täuschend echte Online-Handelsplattformen auf, versprechen hohe Gewinne mit Finanzinstrumenten – aber die Einzahlungen landen direkt in den Taschen der Kriminellen. Es gibt keine realen Investments, keine Wertpapiere, nur eine Illusion. Verstärkt wird das Ganze durch Fake-Broker, oft in Callcentern im Ausland, die mit psychologischem Druck zu weiteren Investitionen drängen.
Frage: Wie professionell gehen diese Täter inzwischen vor?
Reime: Äußerst professionell. Es handelt sich nicht um Einzeltäter im Keller, sondern um international operierende Netzwerke. Die nutzen moderne Technik, darunter auch KI, um binnen Stunden neue Domains zu generieren, Webseiten zu klonen und gefälschte Handelsumgebungen aufzusetzen. Das Geschäftsmodell läuft nach dem Prinzip „Crime as a Service“ – mit klarer Arbeitsteilung und hoher Geschwindigkeit.
Frage: Die BaFin betont, dass die Täter gezielt deutsche Verbraucher ansprechen. Warum?
Reime: Der deutsche Markt gilt als besonders attraktiv. Es gibt viele Kleinanleger mit Anlagebedürfnissen, eine hohe Online-Affinität und gleichzeitig ein großes Vertrauen in „offiziell“ wirkende Webseiten. Die Täter wissen das – und gestalten ihre Seiten entsprechend vertrauenswürdig, inklusive Impressum, gefälschten Siegeln oder angeblichen BaFin-Zulassungen.
Frage: Was bedeutet der Einsatz wie „Operation Herakles“ nun für Geschädigte?
Reime: Kurzfristig vor allem Schutz. Die beschlagnahmten Domains führen jetzt auf Warnseiten – das verhindert weitere Einzahlungen. Für bereits Geschädigte bedeutet es leider nicht, dass ihr Geld zurückkommt. In vielen Fällen ist das Geld über Kryptowährungen oder andere Wege unauffindbar verschwunden. Ich kann nur jedem raten: Wenn man den Verdacht hat, Opfer geworden zu sein, sofort Anzeige erstatten – auch wenn die Hoffnung auf Rückerstattung gering ist.
Frage: Wie können sich Anleger generell vor solchen Plattformen schützen?
Reime: Zunächst: Wachsamkeit und gesunder Menschenverstand. Zu hohe Renditeversprechen, aggressives Marketing, angebliche „exklusive Chancen“ – das sind alles Warnzeichen. Vor allem aber gilt: Niemals Geld auf Plattformen überweisen, deren Seriosität nicht durch die BaFin geprüft ist. Und keine persönlichen Dokumente oder Banking-Daten herausgeben, ohne sich hundertprozentig sicher zu sein.
Frage: Gibt es rechtliche Wege, die Täter zur Verantwortung zu ziehen?
Reime: Theoretisch ja – praktisch ist es sehr schwierig. Viele Täter agieren aus dem Ausland, wechseln ständig ihre Infrastruktur, nutzen Strohmänner oder Scheinfirmen. Die internationale Rechtsverfolgung ist oft langwierig. Daher ist Prävention der wichtigste Hebel.
Frage: Was fordern Sie als Jurist von Gesetzgeber und Behörden?
Reime: Eine noch engere internationale Zusammenarbeit und klare gesetzliche Vorgaben zur Plattformaufsicht. Aber auch mehr Aufklärung: Viele Betroffene schämen sich oder erkennen erst spät, dass sie betrogen wurden. Wir brauchen eine breitere öffentliche Debatte über Online-Anlagebetrug – ähnlich wie über Phishing oder Identitätsdiebstahl.
Frage: Vielen Dank für das Gespräch, Herr Reime.
Kommentar hinterlassen