In der Lagunenstadt Venedig sorgt derzeit ein ungewöhnlicher Besucher für Aufsehen: Ein Delfin, von den Einheimischen liebevoll „Mimmo“ genannt, hat sich bereits im Juli in die Kanäle der Stadt verirrt – und weigert sich offenbar, wieder ins offene Meer zurückzukehren. Was zunächst als charmantes Naturwunder begann, hat sich inzwischen zu einem handfesten Konflikt zwischen Tourismusboom und Tierschutzbedenken entwickelt.
Delfin als neue Attraktion der Serenissima
Während normalerweise der Markusplatz, die Rialtobrücke oder der Dogenpalast die größten Menschenmengen anziehen, zieht nun ausgerechnet der Meeresbewohner Mimmo die Blicke auf sich. Täglich versammeln sich Hunderte Schaulustige entlang der Kanäle, um den Delfin zu beobachten oder zu filmen.
Venedigs Tourismusbranche hat den Hype längst erkannt: Spezielle Bootstouren werden angeboten, die den Gästen – gegen entsprechendes Entgelt – die Chance auf ein Foto mit Mimmo versprechen. Manche Anbieter werben sogar mit „garantierten Sichtungen“ und romantischen Sonnenuntergangsfahrten mit Delfinbegleitung.
Doch das Spektakel hat eine Schattenseite. Tierschützer berichten, dass Mimmo angefüttert wird und Boote ihm Bälle und Spielzeug ins Wasser werfen, um ihn zu Kunststücken zu animieren. Damit steige die Gefahr, dass das Tier abhängig vom Menschen wird – und die Orientierung zum offenen Meer verliert.
Demonstration auf dem Markusplatz
Am Sonntag versammelten sich deshalb Dutzende Tierschützerinnen und Tierschützer auf dem Markusplatz, um die sofortige Rückführung Mimmos ins Meer zu fordern.
„Zum normalen Verkehr von Gondeln, Booten und Vaporetti gesellen sich nun viele Boote hinzu, die eigens ‚Jagd‘ auf den Delfin machen“, erklärte die Aktivistin Cristina Romieri, eine der Organisatorinnen der Demonstration.
Die Menge forderte konkrete Schutzmaßnahmen: Striktere Regeln für Boote im Bereich, in dem sich Mimmo aufhält, ein Fütterungsverbot und die Unterstützung durch Meeresbiologen, um den Delfin sicher in die Adria zurückzubringen.
Zunehmende Sorge um das Tier
Fachleute warnen, dass Mimmo in der Lagune nicht dauerhaft überleben kann. Der Lebensraum sei zu laut, zu verschmutzt und zu stressig. Zudem könnten die vielen Boote den Delfin verletzen oder desorientieren.
„Delfine sind hochintelligente, soziale Tiere. Wenn einer sich so lange von seiner Gruppe entfernt, ist das ein Alarmzeichen“, sagte ein Vertreter des italienischen Umweltverbands LAV. Man müsse nun „rasch handeln, bevor Neugier und Sensationslust zum Risiko für das Tier werden“.
Zwischen Tierliebe und Tourismusinteresse
Venedig steht damit vor einem Dilemma: Während Tierschützer eine schnelle Rückführung fordern, sehen viele Touristiker in Mimmo eine unbezahlbare Werbefigur für die Stadt. Videos des Delfins verbreiten sich millionenfach in den sozialen Medien – eine kostenlose PR-Kampagne, die kaum jemand stoppen will.
Doch je länger Mimmo bleibt, desto schwieriger wird eine sichere Rückkehr ins Meer. Tierschützer befürchten, dass der Delfin seine natürlichen Instinkte verliert – und damit die Fähigkeit, sich im offenen Wasser zu orientieren oder Nahrung selbstständig zu finden.
Hoffnung auf baldige Rettung
Mehrere Umweltorganisationen haben angekündigt, gemeinsam mit den Behörden ein Rettungsprogramm zu planen, um Mimmo zu fangen, medizinisch zu untersuchen und anschließend in einem geschützten Meeresgebiet wieder auszuwildern.
Ob es gelingt, das Tier unbeschadet aus der Lagune zu bringen, ist jedoch unklar. Venedig bleibt unterdessen im Ausnahmezustand – ein Ort, an dem der Tourismus längst alles bestimmt, nun aber ein einzelner Delfin das moralische Gewissen der Stadt auf die Probe stellt.
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