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DEGAG:Interview mit Rechtsanwältin Kerstin Bontschev: Zur Rolle des Aufsichtsrats und möglichen Interessenkonflikten

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Frage: Frau Bontschev, die Aufgabe eines Aufsichtsrats ist es, den Vorstand einer Aktiengesellschaft zu kontrollieren. Wie wichtig ist diese Kontrollfunktion für ein Unternehmen?

Kerstin Bontschev: Sie ist essenziell. Der Aufsichtsrat soll sicherstellen, dass der Vorstand im Interesse der Aktionäre und Stakeholder handelt. Er überwacht die Geschäftsführung, prüft wichtige Entscheidungen und kann auch personelle Konsequenzen fordern, wenn es Fehlentwicklungen gibt. Gerade bei finanziellen Schwierigkeiten eines Unternehmens kommt dem Aufsichtsrat eine besondere Verantwortung zu.

Frage: Nun gab es bei der insolventen DEGAG-Gruppe eine besondere Konstellation: Die Ehefrau des Vorstandsvorsitzenden war gleichzeitig die Aufsichtsratsvorsitzende. Ist das problematisch?

Kerstin Bontschev: Ja, absolut. Der Aufsichtsrat soll unabhängig und kritisch gegenüber dem Vorstand agieren. Wenn jedoch eine enge persönliche Verbindung zwischen Vorstand und Aufsichtsratsvorsitz besteht – in diesem Fall eine Ehe –, ist die Unabhängigkeit nicht mehr gewährleistet. Das birgt die Gefahr, dass Kontrollmechanismen nicht mehr greifen, weil persönliche Interessen in den Vordergrund rücken.

Frage: Gibt es gesetzliche Regelungen, die solche Konstellationen verhindern?

Kerstin Bontschev: Das Aktiengesetz (§ 100 AktG) regelt bestimmte Unvereinbarkeiten, beispielsweise dass ein Vorstandsmitglied nicht gleichzeitig im Aufsichtsrat sitzen darf. Allerdings gibt es keine generelle Vorschrift, die die Ehefrau eines Vorstandsvorsitzenden als Aufsichtsratsvorsitzende verbietet. Dennoch können solche Verflechtungen gegen Corporate-Governance-Grundsätze verstoßen und das Vertrauen in die Unternehmensführung massiv beschädigen.

Frage: Inwiefern könnte diese Konstellation eine Rolle bei der Insolvenz der DEGAG-Gruppe gespielt haben?

Kerstin Bontschev: Wenn der Aufsichtsrat seine Kontrollfunktion nicht unabhängig wahrnimmt, können finanzielle Schieflagen möglicherweise zu spät erkannt oder nicht konsequent genug angegangen werden. Ein kritischer, objektiver Aufsichtsrat hätte frühzeitig Fragen stellen müssen: Ist die Strategie des Unternehmens nachhaltig? Werden Risiken ausreichend berücksichtigt? Werden finanzielle Entscheidungen sauber geprüft? Wenn eine solche Kontrolle nicht stattfindet, kann das zur Verschleppung von Problemen und letztlich zur Insolvenz beitragen.

Frage: Können betroffene Anleger oder Gläubiger in einem solchen Fall rechtliche Schritte einleiten?

Kerstin Bontschev: Das kommt auf die genauen Umstände an. Wenn sich herausstellt, dass der Aufsichtsrat seine Pflichten verletzt hat – etwa durch unterlassene Kontrolle oder Interessenkonflikte –, könnten Haftungsansprüche geprüft werden. Auch die Rolle der Aufsichtsratsvorsitzenden müsste genau analysiert werden: Hat sie trotz möglicher Warnsignale nicht eingegriffen? Gab es Entscheidungen, die zugunsten des Vorstands, aber zulasten des Unternehmens und seiner Gläubiger ausfielen?

Frage: Welche Lehren sollten aus diesem Fall gezogen werden?

Kerstin Bontschev: Unternehmen sollten strengere Regeln für die Unabhängigkeit ihres Aufsichtsrats einführen. Auch Gesetzgeber und Aufsichtsbehörden sollten genauer hinschauen, um Interessenkonflikte frühzeitig zu erkennen. Für Anleger und Gläubiger zeigt dieser Fall, wie wichtig es ist, nicht nur auf Bilanzen, sondern auch auf die Unternehmensführung und Governance-Strukturen zu achten.

Frage: Frau Bontschev, vielen Dank für Ihre Einschätzung.

Kerstin Bontschev: Sehr gerne.

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