Ein Interview mit Rechtsanwalt Reime und Rechtsanwältin Bontschev zur DEGAG-Insolvenz und den Aussagen von Bernd Klein
Die Insolvenz der DEGAG-Publikumsgesellschaften hat viele Anleger in Sorge versetzt. In einer Presseerklärung vom 28. Januar 2025 äußerte sich Bernd Klein, Vorstand der DEGAG, zur Situation und gab juristische Einschätzungen zu den rechtlichen Möglichkeiten der betroffenen Investoren. Doch stimmen diese Aussagen tatsächlich? Welche Optionen haben Anleger, um ihre Interessen zu wahren? Darüber sprechen wir mit den erfahrenen Rechtsanwälten Thomas Reime und Evelina Bontschev, die sich intensiv mit Kapitalanlagerecht und Anlegerschutz befassen.
„KapMuG-Verfahren nicht möglich“ – stimmt das wirklich?
Frage: Herr Reime, Herr Klein behauptet in seiner Stellungnahme, dass ein Kapitalanleger-Musterverfahren (KapMuG-Verfahren) gegen die DEGAG aufgrund des Insolvenzverfahrens nicht mehr möglich sei. Ist das richtig?
RA Reime: Grundsätzlich ist diese Aussage nicht falsch. Ein KapMuG-Verfahren richtet sich gegen Anbieter von Kapitalanlagen und setzt voraus, dass das Unternehmen noch geschäftsfähig ist. Ist die Gesellschaft bereits insolvent, wie es bei der DEGAG der Fall ist, ruht ein solches Verfahren zumindest. Anleger können also keine Musterklage gegen die DEGAG selbst führen, solange das Insolvenzverfahren läuft.
RAin Bontschev: Allerdings bedeutet das nicht, dass Anleger keine rechtlichen Möglichkeiten mehr haben. Wichtig ist, gegen wen die Ansprüche geltend gemacht werden. Das Insolvenzverfahren bezieht sich nur auf die DEGAG selbst. Andere Beteiligte wie Vermittler, Berater oder sogar Vorstände der DEGAG können sehr wohl noch verklagt werden – insbesondere dann, wenn Anleger fehlerhaft beraten oder bewusst getäuscht wurden.
RA Reime: Außerdem kann geprüft werden, ob eine Insolvenzverschleppung vorliegt. Falls die Geschäftsleitung die Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft zu spät angezeigt hat, könnte das auch strafrechtliche Folgen haben und Anleger hätten hier ggf. weitere rechtliche Ansprüche.
Sind die Nachrangklauseln wirklich so „wasserdicht“, wie Herr Klein behauptet?
Frage: Herr Klein hält die Nachrangklauseln der DEGAG für wirksam. Ist das wirklich so eindeutig?
RA Reime: Nein, keineswegs. Die Wirksamkeit solcher Klauseln ist einzelfallabhängig und hängt davon ab, ob Anlegern die damit verbundenen Risiken transparent und verständlich erklärt wurden.
RAin Bontschev: In der Vergangenheit gab es zahlreiche Gerichtsurteile, in denen Nachrangklauseln für unwirksam erklärt wurden, weil sie für Anleger nicht klar genug formuliert waren oder die wirtschaftlichen Folgen nicht ausreichend erläutert wurden.
RA Reime: Der Bundesgerichtshof (BGH) hat in mehreren Urteilen klargestellt, dass Nachrangklauseln klar, transparent und unmissverständlich sein müssen. Gerade wenn sie im Insolvenzfall zu einem vollständigen Kapitalverlust führen können, müssen Anleger hierauf explizit hingewiesen worden sein. Wenn dies nicht geschehen ist, kann die Klausel angefochten werden.
RAin Bontschev: Das bedeutet, dass Anleger prüfen lassen sollten, ob die Nachrangklauseln in ihren Verträgen wirksam sind oder nicht. Falls nicht, könnten ihre Forderungen doch noch in den Insolvenzprozess einfließen – mit deutlich besseren Chancen auf Rückzahlungen.
Was sollten DEGAG-Anleger jetzt tun?
Frage: Was empfehlen Sie DEGAG-Anlegern jetzt konkret?
RA Reime: Erstens sollten Anleger Ruhe bewahren und sich nicht von schnellen Versprechen oder unseriösen Angeboten täuschen lassen. Einige Kanzleien werben bereits mit Schlagworten wie „Ihr Geld zurück von der DEGAG“, aber solche Aussagen sind irreführend.
RAin Bontschev: Zweitens ist es wichtig, dass Anleger ihre Forderungen im Insolvenzverfahren anmelden – aber erst, wenn das Insolvenzverfahren offiziell eröffnet ist. Viele Anleger denken, sie könnten ihre Ansprüche schon jetzt einreichen, aber im sogenannten vorläufigen Insolvenzverfahren ist das noch nicht möglich.
RA Reime: Drittens sollten sie prüfen lassen, ob und gegen wen weitere Ansprüche bestehen. Dazu gehören:
- Ansprüche gegen Vermittler und Berater: Falls Anleger die DEGAG-Genussrechte als „sichere Anlage“ oder „festverzinsliche Geldanlage“ verkauft wurden, könnte das eine Falschberatung sein. In diesem Fall haftet der Vermittler.
- Ansprüche gegen die Geschäftsführung der DEGAG: Falls sich herausstellt, dass die DEGAG ihre wirtschaftliche Lage verschleiert oder Anleger durch irreführende Prospekte getäuscht hat, könnte das Schadensersatzansprüche begründen.
- Möglichkeiten zur Anfechtung der Nachrangklauseln: Falls diese nicht klar genug formuliert oder unzulässig sind, könnten Anleger ihre Forderungen als reguläre Insolvenzforderungen anmelden – was die Chancen auf eine Rückzahlung deutlich verbessert.
Wie viel Geld können Anleger realistisch zurückbekommen?
Frage: Herr Klein sagt, es werde keine „Rückzahlung“ des Genussrechtskapitals geben, sondern nur eine quotale Insolvenzquote. Ist das korrekt?
RA Reime: Ja, leider ist das realistisch. Wenn eine Gesellschaft insolvent ist, erhalten Gläubiger nur einen Anteil ihrer Forderungen zurück. Wie hoch dieser Anteil ausfällt, hängt davon ab, wie viel Vermögen die DEGAG noch hat und welche anderen Gläubiger Forderungen anmelden.
RAin Bontschev: Die Erfahrung zeigt, dass Insolvenzquoten oft im einstelligen Prozentbereich liegen. Anleger dürfen also nicht erwarten, dass sie ihr gesamtes Kapital zurückbekommen.
RA Reime: Genau deshalb ist es so wichtig, alle anderen rechtlichen Möglichkeiten zu prüfen. Wer sich nur auf die Insolvenzquote verlässt, wird voraussichtlich nur einen Bruchteil seines Kapitals zurückbekommen.
Was bedeutet die Insolvenz für die Rolle der BaFin?
Frage: Herr Klein betont, dass es keine Verfügung der BaFin gegen die DEGAG gegeben habe. Ist das ein gutes Zeichen?
RAin Bontschev: Nicht unbedingt. Die BaFin greift nur ein, wenn sie konkrete Verstöße gegen aufsichtsrechtliche Vorschriften feststellt. Das bedeutet aber nicht automatisch, dass bei der DEGAG alles korrekt abgelaufen ist.
RA Reime: Genau. In vielen Fällen greift die BaFin gar nicht ein, selbst wenn Anleger massiv geschädigt wurden. Das bedeutet nicht, dass alles in Ordnung war – sondern nur, dass bestimmte Schwellen für eine behördliche Intervention nicht überschritten wurden.
Fazit: Anleger sollten ihre Rechte aktiv einfordern
Frage: Ihr abschließender Rat an DEGAG-Anleger?
RA Reime: Anleger sollten sich gut informieren und ihre Rechte aktiv einfordern. Sie sollten sich nicht mit der Insolvenzquote zufriedengeben, sondern prüfen lassen, ob sie noch weitere Ansprüche geltend machen können.
RAin Bontschev: Ich kann mich dem nur anschließen. Wer sich gut beraten lässt, kann seine Chancen auf eine Rückzahlung deutlich erhöhen. Jetzt geht es darum, die richtigen Schritte zur richtigen Zeit einzuleiten.
Frage: Vielen Dank für das Gespräch!
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