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Chicago-Vorort im Ausnahmezustand: Anwohner vertreiben maskierte Bundesagenten mit lautstarkem Protest

TheDigitalArtist (CC0), Pixabay
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Was als ruhiger, verregneter Sonntagnachmittag begann, verwandelte sich im Chicagoer Vorort Mount Prospect in ein aufgewühltes Szenario aus Sirenen, Autohupen und Protestgeschrei.

Als plötzlich mehrere maskierte Bundesagenten in zivilen SUVs durch die Straßen fuhren, reagierten die Bewohner – zunächst mit Verwirrung, dann mit lautstarker Gegenwehr. Laut Augenzeugen handelte es sich um Angehörige von Homeland Security und der Einwanderungsbehörde ICE, die eine verdeckte Operation durchführten.


Von Ruhe zu Alarm: „ICE ist hier!“

Kurz nach Mittag begannen in der Nachbarschaft Eilmeldungen per SMS zu kursieren. „ICE ist hier“, schrieb eine Anwohnerin an ihre Nachbarn. „Helikopter über Owen Park. Sie sind überall.“

Wenige Minuten später heulten Autohupen durch die Straßen. Bewohner liefen aus ihren Häusern, filmten die Szenen mit ihren Handys und stellten sich den maskierten Beamten entgegen.

Eine der ersten vor Ort war Dawn Ardito, Kleinunternehmerin aus Mount Prospect. „Ich sah SUVs mit getönten Scheiben und Männer in taktischer Kleidung. Ich wusste sofort: Das ist ICE“, sagte sie. „Ich habe ihnen zugerufen: Ihr gehört nicht hierher. Unsere Nachbarn gehören hierher.


Behörden sprechen von „Suche nach gefährlichem Straftäter“

Laut Aussagen der Beamten suchten sie nach einem „geflohenen Verbrecher“. Im Verlauf der Aktion änderte sich jedoch die Beschreibung mehrfach – zunächst war von einem „Gangmitglied“ die Rede, später von einem „Sexualstraftäter“ und schließlich von einem „Mordverdächtigen“.

Die Polizei von Mount Prospect bestätigte, dass sie kurzzeitig auf die Einsatzkräfte traf, nachdem ein Notruf über eine verdächtige Person im Garten eines Hauses eingegangen war.
„Unsere Beamten haben sich zurückgezogen, sobald klar war, dass es sich um Bundesagenten handelte“, erklärte Sprecher Greg Sill. „Eine Beteiligung wäre ein Verstoß gegen das Illinois Trust Act, das die Zusammenarbeit lokaler Polizei mit Einwanderungsbehörden einschränkt.“


Protestierende stören Einsatz

Für mehr als eine Stunde begleiteten Dutzende Anwohner den Einsatz – teils lautstark schreiend, hupend oder mit auf Video gerichteten Smartphones. Einige versuchten, die Agenten durch Lärm und Präsenz zum Rückzug zu bewegen.

„Niemand sollte so leben müssen – mit der Angst, dass plötzlich bewaffnete Männer durch die Straße laufen“, sagte eine Bewohnerin, die anonym bleiben wollte.

Nach rund zwei Stunden zogen die Einsatzkräfte ab. Ob es tatsächlich zu Festnahmen kam, blieb zunächst unklar.


„Wenn es hier passieren kann, kann es überall passieren“

Die Aktion in Mount Prospect reiht sich in eine Serie ähnlicher Vorfälle in Illinois ein. Seit Beginn der sogenannten „Operation Midway Blitz“, einer von der Trump-Regierung gestarteten ICE-Initiative, wurden laut dem US-Heimatschutzministerium zwischen dem 8. September und 3. Oktober über 1.000 Migranten in Illinois festgenommen.

Für viele Anwohner ist das Vorgehen der Behörden ein Symbol wachsender Spannung zwischen Bundespolitik und lokalen Gemeinschaften.
„Wenn es hier passieren kann, kann es überall passieren“, sagte Ardito. „Wir müssen uns vernetzen, um unsere Nachbarn zu schützen.“


Ziviler Widerstand mit Trillerpfeifen

In mehreren Stadtteilen Chicagos, darunter Belmont Cragin und Little Village, organisieren Aktivisten kreative Formen des Widerstands.

Bei sogenannten „Whistlemania“-Aktionen verteilen Freiwillige orangefarbene Trillerpfeifen, Handzettel und Informationsbroschüren über Rechte von Migranten. Wird ICE-Aktivität gesichtet, blasen Anwohner in die Pfeifen, um andere zu warnen und Aufmerksamkeit zu erzeugen.

„Formt eine Menge, bleibt laut“, heißt es auf einem der Flugblätter. Das Ziel: dokumentieren, protestieren und zeigen, dass ICE-Razzien in Chicago nicht unbeobachtet bleiben.

Laut Organisator Alonso Zaragoza wurden bereits über 30.000 dieser Whistle-Kits verteilt. Bis Ende Oktober sollen es 100.000 sein.


Wirtschaftliche Folgen für Migranten – und spontane Solidarität

In Vierteln wie Little Village, wo viele lateinamerikanische Familien leben, spüren Straßenhändler die Folgen der Razzien unmittelbar. Viele trauen sich kaum noch, ihre Stände aufzubauen.

Der Aktivist Rick Rosales versucht, gegenzusteuern. Gemeinsam mit anderen Mitgliedern seiner Fahrradgruppe Cycling x Solidarity kauft er an ICE-Tagen den gesamten Vorrat lokaler Straßenverkäufer auf, damit diese frühzeitig schließen und nach Hause gehen können.

„Wir kaufen alles – Tamales, Empanadas, Mais – und verteilen das Essen anschließend an Obdachlosenunterkünfte“, erzählt Rosales. „So schützen wir unsere Verkäufer und helfen gleichzeitig anderen.“


Chicago im Zentrum des politischen Konflikts

Die Ereignisse in Mount Prospect und Chicago spiegeln den wachsenden Konflikt zwischen Bundes- und Landesbehörden wider. Während Präsident Trump weiterhin versucht, Nationalgardetruppen in Illinois einzusetzen, haben Bundesgerichte den Einsatz bislang blockiert.

Richterin April Perry kritisierte jüngst die Bundesregierung für ihre Darstellung der Lage. Sie warnte vor einer „gefährlichen Gleichsetzung friedlicher Proteste mit Gewaltakten“.

Trotz juristischer Auseinandersetzungen wächst der zivile Widerstand. Gemeinden vernetzen sich, dokumentieren Razzien und stärken rechtliche Aufklärung.
„Wir haben uns zusammengeschlossen“, sagte Ardito. „Jetzt sind wir eine Gemeinschaft, die füreinander einsteht.“


Fazit

Der Vorfall in Mount Prospect verdeutlicht die zunehmende Spannung zwischen Einwanderungspolitik, Bürgerrechten und kommunaler Solidarität in den USA.
Während die Bundesregierung auf strikte Durchsetzung setzt, wächst in Chicagos Stadtteilen eine Bewegung, die auf Lautstärke, Zusammenhalt und Zivilcourage setzt – mit Trillerpfeifen statt Waffen.

„Unsere Botschaft ist klar“, sagt Aktivist Zaragoza. „Wir sind laut, weil wir bleiben.“

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