Die Automobilproduktion im Vereinigten Königreich ist im April drastisch gesunken. Mit nur 59.203 hergestellten Fahrzeugen wurde der niedrigste April-Wert seit über 70 Jahren verzeichnet – ausgenommen das Jahr 2020, als die Produktion während der Covid-Pandemie nahezu vollständig zum Erliegen kam.
Laut dem Branchenverband Society of Motor Manufacturers and Traders (SMMT) war der Rückgang auf mehrere Faktoren zurückzuführen: Neben den neu eingeführten US-Strafzöllen belastete auch die späte Lage des Osterfestes die Produktion, da es im April dadurch weniger Arbeitstage gab. Zusätzlich wirke sich der strukturelle Wandel hin zu Elektrofahrzeugen (EVs) vorübergehend negativ auf die Fertigungszahlen aus.
Internationale Handelskonflikte drücken auf Exportzahlen
Die britische Autoindustrie hatte im März noch einen Anstieg verzeichnet, da viele Hersteller versuchten, vor Inkrafttreten der von Ex-Präsident Trump verhängten Zölle auf Stahl, Aluminium und Fahrzeuge möglichst viele Fahrzeuge in die USA zu exportieren. Diese 25-Prozent-Zölle gelten weiterhin – trotz eines Gerichtsurteils in den USA, das viele dieser Maßnahmen blockierte.
Vor allem Jaguar Land Rover (JLR) ist betroffen. Das Unternehmen zahlt derzeit 27,5 % Zölle auf alle Fahrzeuge, die aus Großbritannien in die USA geliefert werden – ein erheblicher Kostenfaktor. Die Firma kritisierte zudem die langsame Umsetzung eines neuen Handelsabkommens zwischen dem Vereinigten Königreich und den USA. Dieses sieht vor, Zölle auf Autos bis zu einer Quote von 100.000 Fahrzeugen auf 10 % zu begrenzen.
Exporteinbruch belastet die Branche
Laut SMMT sank die Produktion für den Export im April um 10,1 %. Betroffen seien vor allem die wichtigsten Absatzmärkte Großbritanniens – die USA und die Europäische Union. Die Produktion für den heimischen Markt ging im Vergleich zum Vorjahr um 3,3 % zurück.
Im Vergleich zum Vormonat März war der Rückgang besonders stark: Fast ein Viertel weniger Fahrzeuge wurden im April produziert. Im historischen Vergleich war ein ähnlich niedriger April-Wert zuletzt 1952 mit 53.517 produzierten Fahrzeugen zu verzeichnen.
Die Gesamtproduktion für die ersten vier Monate des Jahres war laut SMMT so niedrig wie zuletzt im Krisenjahr 2009.
Branchenexperten warnen vor strukturellen Problemen
Nathan Coe, Geschäftsführer der Online-Autohandelsplattform Autotrader, erklärte, dass vor allem Hersteller mit starkem Exportanteil in die USA unter den neuen Rahmenbedingungen leiden. Der britische Inlandsmarkt hingegen entwickle sich vergleichsweise stabil. Autotrader selbst meldete einen Umsatzanstieg von 5 %, warnte jedoch vor wirtschaftlichen Unsicherheiten. Die Aktie des Unternehmens verlor am Donnerstagmorgen 12 % an Wert.
Prof. Peter Wells, Direktor des Centre for Automotive Industry Research an der Universität Cardiff, sieht die Entwicklung im internationalen Kontext. „Auch in Deutschland, Frankreich, Italien und Japan gibt es vergleichbare Sorgen“, sagte er. Allerdings seien einige Belastungsfaktoren in Großbritannien besonders stark ausgeprägt, etwa die vergleichsweise geringeren Handelsbarrieren gegenüber Importen aus China im Vergleich zur EU und den USA.
Zudem mache die jüngste Entscheidung der britischen Regierung, die Verkaufsziele für Elektroautos zu lockern und Strafen für überhöhte Emissionen zu senken, die Produktionsplanung für Unternehmen schwieriger.
Produktionsstandorte unter Druck
In den vergangenen Jahren hatten mehrere Automobilhersteller ihre Standorte in Großbritannien geschlossen, darunter Honda und Ford. Im vergangenen Jahr warnte auch der Stellantis-Konzern (u. a. Vauxhall, Citroën, Peugeot) vor einem möglichen Produktionsstopp in Großbritannien, sollte die Regierung keine klaren Signale für den Umgang mit der Elektromobilität senden.
„Die Industrie braucht Stabilität und verlässliche Rahmenbedingungen – sei es bei Zöllen, bei der Elektrifizierung oder bei anderen Themen“, betonte Prof. Wells. „Für mich bleibt das politische und wirtschaftliche Umfeld in Großbritannien volatil.“
Kommentar hinterlassen