Seit der Einführung neuer US-Zölle auf kanadische Produkte wächst in Kanada die Debatte über die Rückverlagerung der Produktion ins eigene Land. Während einige Unternehmen und Verbraucher aus Protest gegen die Handelsmaßnahmen amerikanische Produkte boykottieren, überlegen andere, ihre Produktion von den USA nach Kanada zurückzuholen.
Patriotismus und wirtschaftliche Unsicherheit
Für Joanna Goodman, die Besitzerin des kanadischen Bettwarenunternehmens Au Lit Fine Linens, sind die neuen Handelsbedingungen ein Grund zur Neuorientierung. „Ich bin ein bisschen wütend. Ich möchte nicht in amerikanische Unternehmen investieren“, sagt sie. Bisher stammen 20 % ihrer Waren aus den USA – doch ob sie diese Bestellungen in Zukunft fortsetzt, ist fraglich.
Ihr Unternehmen setzt nun verstärkt auf kanadische Hersteller: In den Geschäften werden „Made in Canada“-Produkte hervorgehoben, und der Online-Shop hat eine eigene Kategorie für heimische Waren.
Trend zur Rückverlagerung?
Die wirtschaftlichen Unsicherheiten der letzten Jahre, von der COVID-19-Pandemie bis zu geopolitischen Krisen, haben weltweit zu einem Trend geführt, der als „Reshoring“ bekannt ist – die Rückholung von Produktionskapazitäten ins eigene Land.
Sandra Pupatello, frühere Wirtschaftsministerin von Ontario und Gründerin der Initiative Reshoring Canada, betont die Notwendigkeit einer stabileren Lieferkette: „Wenn es hart auf hart kommt, steht Kanada alleine da. Also müssen wir uns darauf vorbereiten.“
Ein Regierungsbericht aus dem letzten Jahr fand jedoch „keine Anzeichen für eine großflächige Rückverlagerung“. Doch Unternehmer wie Ray Brougham, Gründer von Rainhouse Manufacturing Canada, sehen Anzeichen für Veränderung. „Zum ersten Mal haben wir wirkliches Interesse von großen kanadischen Automobilzulieferern, die bisher nur mit US-Partnern gearbeitet haben.“
Herausforderungen der Rückverlagerung
Trotz der Vorteile des Reshorings – von fairen Löhnen bis hin zu einer geringeren Umweltbelastung durch kürzere Transportwege – gibt es große Herausforderungen. Besonders in der Automobilbranche sind die Lieferketten eng mit den USA und Mexiko verflochten. Eine vollständige Rückverlagerung würde „hunderte Milliarden Dollar“ an Investitionen erfordern, erklärt der Ökonom Randall Bartlett.
Statt einer vollständigen Abkopplung von den USA sei es laut Bartlett realistischer, Kanadas Handel zu diversifizieren. Sektoren mit „komparativen Vorteilen“ wie erneuerbare Energien oder die Verarbeitung von Stahl und Aluminium könnten gezielt gestärkt werden. Diese Metalle sind nun von einem 25 %-Zoll betroffen, wenn sie in die USA exportiert werden.
Abwarten und beobachten
Für viele Unternehmen bleibt die Lage ungewiss. Joanna Goodman erklärt, dass sie vorerst abwartet: „Diese Zölle könnten jeden Tag verschwinden. Mal sehen, wie sich alles entwickelt, dann treffen wir Entscheidungen.“
Wie sich Made in Canada in den kommenden Jahren entwickeln wird, hängt von der weiteren Handelspolitik und den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen ab. Doch der Wunsch nach mehr wirtschaftlicher Unabhängigkeit wächst – und könnte langfristig zu Veränderungen in Kanadas Produktionslandschaft führen.
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