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„Bilanzfehler können schwerwiegende Folgen haben“ – Interview mit Rechtsanwalt Daniel Blazek

Tumisu (CC0), Pixabay
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Herr Blazek, die BaFin hat festgestellt, dass die Allgeier SE in ihrem IFRS-Konzernabschluss zum 31. Dezember 2020 mehrere Fehler gemacht hat. Was bedeutet das in der Praxis?

Daniel Blazek: Grundsätzlich zeigt dieser Fall, wie streng die Rechnungslegungsvorschriften nach IFRS sind und dass selbst große Unternehmen mit erfahrenen Finanzabteilungen Fehler machen können. Die Fehler der Allgeier SE betreffen insbesondere die Bilanzierung der Abspaltung der Nagarro Gruppe. Solche Abspaltungen sind komplexe Vorgänge mit erheblichen bilanziellen Auswirkungen.

In der Praxis bedeutet das zunächst einmal, dass die Allgeier SE ihre Bilanz korrigieren muss. Noch wichtiger sind jedoch die möglichen Auswirkungen auf Investoren, Aktionäre und den Kapitalmarkt insgesamt. Wenn eine Bilanz nicht korrekt ist, kann dies dazu führen, dass Anleger falsche Entscheidungen treffen – zum Beispiel in Bezug auf Aktienkäufe oder -verkäufe.

Welche konkreten Auswirkungen kann das für Allgeier SE und ihre Anleger haben?

Blazek: Es gibt mehrere Ebenen der Auswirkungen:

  1. Vertrauensverlust: Die BaFin veröffentlicht solche Fehler bewusst, um Transparenz herzustellen und Anleger zu schützen. Gleichzeitig kann dies aber auch das Vertrauen in das Unternehmen schädigen. Kapitalmarktorientierte Unternehmen sind darauf angewiesen, dass Investoren und Analysten ihren Zahlen vertrauen. Eine solche Fehlerkorrektur kann die Reputation nachhaltig beeinträchtigen.
  2. Kursreaktionen: Die Bekanntmachung eines Bilanzfehlers kann zu Kursschwankungen führen. Investoren könnten verunsichert sein und Aktien abstoßen, was zu einem Kursrückgang führen kann.
  3. Haftungsrisiken: Falls Anleger aufgrund falscher Bilanzzahlen Investitionsentscheidungen getroffen haben, könnten sie Schadenersatzansprüche prüfen. In bestimmten Fällen kann es zu Sammelklagen oder individuellen Klagen gegen das Unternehmen kommen.
  4. Aufsichtsrechtliche Konsequenzen: Die BaFin hat zwar keine direkte Sanktionsmöglichkeit bei solchen Feststellungen, aber die Veröffentlichung allein kann schon negative Auswirkungen haben. Zudem könnte es sein, dass andere Aufsichtsbehörden oder Wirtschaftsprüfer weitere Prüfungen durchführen.

Die BaFin hat unter anderem festgestellt, dass das „Ergebnis aus abgespaltenem und veräußertem Geschäft“ um mindestens 199 Millionen Euro zu niedrig ausgewiesen wurde. Was genau bedeutet das für die Bilanz?

Blazek: Das ist ein erheblicher Betrag. Nach den IFRS-Vorgaben hätte Allgeier SE die Ausschüttung sämtlicher Nagarro-Aktien als Dividendenverbindlichkeit ausweisen müssen. Das wurde nicht gemacht, was zu einer falschen Darstellung des Ergebnisses führte.

Die IFRS-Regelungen – insbesondere IFRIC 17.14 – schreiben vor, dass Unternehmen die Differenz zwischen dem Buchwert der ausgeschütteten Vermögenswerte und der Dividendenverbindlichkeit im Gewinn oder Verlust erfassen müssen. Das wurde hier unterlassen. Dadurch wurde das tatsächliche Ergebnis zu niedrig ausgewiesen, was eine fehlerhafte Darstellung der Finanzlage des Unternehmens zur Folge hatte.

Für Investoren bedeutet das, dass sie möglicherweise eine falsche Einschätzung über die tatsächliche Ertragskraft und den finanziellen Status der Allgeier SE hatten. Das kann insbesondere für institutionelle Anleger und Analysten, die auf exakte Zahlen angewiesen sind, problematisch sein.

Neben dem Ergebnis aus dem abgespaltenen Geschäft gab es auch eine falsche Berechnung bei den Abschreibungen und eine fehlerhafte Umgliederung von Eigenkapitalbestandteilen. Sind das ebenfalls gravierende Fehler?

Blazek: Ja, auch diese Fehler sind ernst zu nehmen. Zwar sind sie in absoluten Zahlen kleiner als der erste Punkt, aber sie beeinflussen ebenfalls die Gesamtaussagekraft des Konzernabschlusses.

Bei den Abschreibungen wurde offenbar ein falscher Zeitraum angesetzt, was zu einer Überschätzung der Wertminderungen um etwa 4,9 Millionen Euro führte. Das bedeutet, dass der Gewinn des Unternehmens künstlich nach unten korrigiert wurde.

Die falsche Umgliederung von Eigenkapitalbestandteilen in Höhe von rund 14,5 Millionen Euro führt ebenfalls zu einer verzerrten Darstellung der Vermögens- und Ertragslage. In der Summe sind diese Fehler problematisch, weil sie sich in verschiedenen Bereichen der Bilanz auswirken und das Gesamtbild verfälschen.

Welche Rolle spielt die BaFin in solchen Fällen?

Blazek: Seit dem 1. Januar 2022 ist die BaFin allein für die Überwachung der Bilanzen kapitalmarktorientierter Unternehmen zuständig. Sie prüft Jahresabschlüsse und Konzernabschlüsse sowie die zugehörigen Lageberichte. Stellt sie Fehler fest, macht sie diese öffentlich.

Die gesetzliche Grundlage für diese Prüfung ergibt sich aus dem Wertpapierhandelsgesetz (WpHG), insbesondere aus § 109 Absatz 2. Die Veröffentlichung solcher Fehler dient dem Anlegerschutz, denn Transparenz ist für den Kapitalmarkt essenziell.

Früher war die Bilanzkontrolle eine geteilte Aufgabe zwischen der Deutschen Prüfstelle für Rechnungslegung (DPR) und der BaFin. Doch nach dem Wirecard-Skandal wurde die BaFin als alleinige Aufsichtsbehörde gestärkt.

Welche Lehren können Unternehmen aus diesem Fall ziehen?

Blazek: Der Fall zeigt, wie wichtig eine sorgfältige und präzise Rechnungslegung ist – insbesondere bei komplexen Transaktionen wie Unternehmensabspaltungen. Unternehmen sollten sicherstellen, dass sie:

  1. Internationale Rechnungslegungsvorschriften genau einhalten: IFRS ist komplex, und selbst erfahrene Unternehmen können Fehler machen. Es ist entscheidend, dass Finanzabteilungen und Wirtschaftsprüfer sich regelmäßig mit neuen Vorschriften vertraut machen.
  2. Transparenz gegenüber Anlegern wahren: Fehler in der Bilanz können das Vertrauen in ein Unternehmen nachhaltig schädigen. Eine proaktive und offene Kommunikation mit Investoren kann helfen, größere Schäden zu vermeiden.
  3. Interne Kontrollmechanismen stärken: Unternehmen sollten interne Prozesse implementieren, die sicherstellen, dass Bilanzierungsfehler frühzeitig erkannt und korrigiert werden.
  4. Externe Prüfungen intensivieren: In sensiblen Bereichen wie Unternehmensabspaltungen kann es sinnvoll sein, zusätzliche externe Experten hinzuzuziehen, um Fehlinterpretationen von IFRS-Regelungen zu vermeiden.

Zum Abschluss: Was bedeutet der Fall für Investoren?

Blazek: Investoren sollten aus diesem Fall lernen, dass sie nicht blind auf veröffentlichte Finanzberichte vertrauen dürfen. Eine kritische Analyse der Bilanzen und eine genaue Beobachtung von BaFin-Meldungen sind essenziell, um Fehlinvestitionen zu vermeiden.

Gleichzeitig zeigt der Fall aber auch, dass das System der Bilanzkontrolle funktioniert. Die BaFin deckt Fehler auf und stellt Transparenz her – das ist ein wichtiger Schritt, um das Vertrauen in die Finanzmärkte zu stärken.

Herr Blazek, vielen Dank für das Gespräch!

Blazek: Sehr gerne!

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