BGH: Sonstige Entscheidungen XI ZB 16/20 CONTI 174. Schifffahrts-GmbH & Co. Bulker KG MS „CONTI ALMANDIN“

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS

XI ZB 16/​20
vom
15. März 2022
in dem Rechtsstreit

Ingrid Crusius, Notingerweg 63, Riemerling,
Musterklägerin und Musterrechtsbeschwerdeführerin,
1.

Reinhard Schäfer, Schubertstraße 4/​1, Weinheim,
2.

Karl Dieter Kück, Am Trieb 15, Neu-Isenburg,
Beigeladene und Rechtsbeschwerdeführer,

– Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte Scheuch und Lindner –
gegen
1.
Bremer Bereederungsgesellschaft mbH & Co. KG, vertreten durch die Bremer Geschäftsführungs- und Bereederungs GmbH, diese vertreten durch die Geschäftsführer, Martinistraße 61, Bremen,
Musterbeklagte,
2.
Conti Reederei Management GmbH & Co. Konzeptions KG, vertreten durch die Conti Reederei Management GmbH, diese vertreten durch die Geschäftsführer, Bleichenbrücke 10, Hamburg,
Musterbeklagte und Musterrechtsbeschwerdegegnerin,
3.


– Prozessbevollmächtigte zu 1 I. Instanz: Rechtsanwälte Weiss, Walter, Fischer-Zernin, Fuhlentwiete 14, Hamburg –
– Prozessbevollmächtigte zu 2: Rechtsanwälte Prof. Dr. Rohnke und Dr. Winter –

Der XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 15. März 2022 durch den Vizepräsidenten Prof. Dr. Ellenberger, die Richterinnen Dr. Menges und Dr. Derstadt, den Richter Dr. Schild von Spannenberg sowie die Richterin Ettl

beschlossen:

Auf die Rechtsbeschwerden der Musterrechtsbeschwerdeführerin und der Rechtsbeschwerdeführer zu 1 und 2 wird der Musterentscheid des Hanseatischen Oberlandesgerichts vom 26. Juni 2020 aufgehoben, soweit das Oberlandesgericht die Feststellungsziele 1 und 3 als unbegründet zurückgewiesen hat.

Der Vorlagebeschluss des Landgerichts Hamburg vom 6. Dezember 2018, in Bezug auf das Feststellungsziel 1 (3a) in der Fassung des Beschlusses des Hanseatischen Oberlandesgerichts vom 15. April 2020, ist hinsichtlich der Feststellungsziele 1 und 3 gegenstandslos.

Im Übrigen werden die Rechtsbeschwerden zurückgewiesen.

Die Gerichtskosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens und die außergerichtlichen Kosten der Musterrechtsbeschwerdegegnerin tragen die Musterrechtsbeschwerdeführerin und die Rechtsbeschwerdeführer zu 1 und 2 wie folgt:
Musterrechtsbeschwerdeführerin 55%
Rechtsbeschwerdeführer zu 1 9%
Rechtsbeschwerdeführer zu 2 36%

Ihre außergerichtlichen Kosten tragen die Musterrechtsbeschwerdeführerin und die Rechtsbeschwerdeführer zu 1 und 2 jeweils selbst.

Der Streitwert für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird hinsichtlich der Gerichtskosten auf bis zu 1.150.000 € festgesetzt.

Der Gegenstandswert für die außergerichtlichen Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird für die Prozessbevollmächtigten der Musterrechtsbeschwerdeführerin sowie der Rechtsbeschwerdeführer zu 1 und 2 auf 277.978,60 € und für die Prozessbevollmächtigten der Musterrechtsbeschwerdegegnerin auf bis zu 1.150.000 € festgesetzt.
Gründe:
A.
1

Die Parteien streiten im Rahmen eines Verfahrens nach dem Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (KapMuG) darüber, ob der bei der Emission des Fonds CONTI 174. Schifffahrts-GmbH & Co. Bulker KG MS „CONTI ALMANDIN“ (im Folgenden: Fonds oder Fondsgesellschaft) am 7. Juli 2010 aufgestellte Prospekt (im Folgenden: Prospekt) fehlerhaft ist und ob die Musterbeklagten hierfür aufgrund sogenannter bürgerlich-rechtlicher Prospekthaftung im weiteren Sinne in Anspruch genommen werden können. Gegenstand des Fonds ist der Erwerb und Betrieb des Massengutschiffs MS „CONTI ALMANDIN“ (nachfolgend: Fondsschiff), bei dem es sich um einen Supramax-Bulker mit einer Tragfähigkeit von 57.000 tdw handelt.
2

Die Musterbeklagte zu 2 ist Initiatorin und Anbieterin des Beteiligungsangebots. Sie ist Prospektverantwortliche und Gründungskommanditistin der Fondsgesellschaft mit einer Kommanditeinlage in Höhe von 50.000 €. Die Musterbeklagte zu 1 war zum Zeitpunkt der Prospektherausgabe Kommanditistin der Fondsgesellschaft mit einer Kommanditeinlage in Höhe von 25.000 €. Sie ist Vertragsreederin des Fondsschiffs.
3

Die Musterklägerin und die Beigeladenen haben seit dem Jahr 2017 Klagen gegen die Musterbeklagten anhängig gemacht. In diesen Klageverfahren verlangen sie von den Musterbeklagten Schadensersatz wegen vorvertraglicher Aufklärungspflichtverletzungen im Zusammenhang mit der Beteiligung an der Fondsgesellschaft nach den Grundsätzen der Prospekthaftung im weiteren Sinne.
4

Das Landgericht hat mit Beschluss vom 6. Dezember 2018 dem Oberlandesgericht Feststellungsziele zum Zweck der Herbeiführung eines Musterentscheids vorgelegt. Mit ihnen wird geltend gemacht, dass der Prospekt fehlerhaft sei, weil er die Markterwartungen für Bulker fehlerhaft und die Risiken sowie die Rentabilität der Beteiligung an dem Fonds falsch darstelle (Feststellungsziel 1), dass die Musterbeklagten zu 1 und 2 nach den Grundsätzen der Prospekthaftung im weiteren Sinne verpflichtet gewesen seien, über die in dem Feststellungsziel 1 genannten Prospektmängel aufzuklären (Feststellungsziel 2), und dass die in dem Feststellungsziel 1 genannten Prospektmängel für die Musterbeklagten zu 1 und 2 bei der gebotenen sachkundigen Prüfung mit üblicher Sorgfalt erkennbar gewesen seien und die Musterbeklagten zu 1 und 2 schuldhaft nach den Grundsätzen der Prospekthaftung im weiteren Sinne gehandelt hätten (Feststellungsziel 3).
5

Das Oberlandesgericht hat mit Beschluss vom 15. April 2020 das im Vorlagebeschluss unter 1 (3a) aufgeführte Feststellungsziel entsprechend § 15 KapMuG konkretisierend neu gefasst und hat die Feststellungsziele mit Musterentscheid vom 26. Juni 2020 als unbegründet zurückgewiesen.
6

Gegen den Musterentscheid haben die Musterklägerin und zwei Beigeladene Rechtsbeschwerde eingelegt. Sie wenden sich gegen die Zurückweisung der Feststellungsziele und verfolgen ihr Feststellungsbegehren vollumfänglich weiter.
7

Mit Senatsbeschluss vom 12. Februar 2021 ist die Musterbeklagte zu 2 zur Musterrechtsbeschwerdegegnerin bestimmt worden.
B.
8

Die zulässigen Rechtsbeschwerden der Musterrechtsbeschwerdeführerin und der weiteren Rechtsbeschwerdeführer haben im Ergebnis keinen Erfolg.
I.
9

Die Rechtsbeschwerden sind zulässig.
10

Sie sind rechtzeitig eingelegt und begründet worden (§ 20 Abs. 1 Satz 1 KapMuG i.V.m. § 575 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 ZPO). Die Rechtsbeschwerden formulieren einen ordnungsgemäßen Rechtsbeschwerdeantrag (§ 20 Abs. 1 Satz 1 KapMuG i.V.m. § 575 Abs. 3 Nr. 1 ZPO). Der Antrag, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und nach den „Schlußanträgen der Musterklägerin im Kapitalanleger-Musterverfahren zu entscheiden“, lässt vorliegend erkennen, welche Abänderungen beantragt werden (vgl. Senatsbeschlüsse vom 6. Oktober 2020 – XI ZB 28/​19, WM 2020, 2411 Rn. 21 und vom 15. Dezember 2020 – XI ZB 24/​16, BGHZ 228, 133 Rn. 34 ff., jeweils mwN).
II.
11

Die Rechtsbeschwerden der Musterrechtsbeschwerdeführerin und der weiteren Rechtsbeschwerdeführer haben im Ergebnis keinen Erfolg. Sie führen nur dazu, dass die Feststellungsziele 1 und 3 nicht als unbegründet zurückgewiesen werden, sondern dass der Vorlagebeschluss hinsichtlich dieser Feststellungsziele gegenstandslos ist.
12

1. Das Oberlandesgericht hat zur Begründung des Musterentscheids – soweit für das Rechtsbeschwerdeverfahren noch von Interesse – im Wesentlichen ausgeführt:
13

Das Feststellungsziel 1 sei in der Sache zurückzuweisen, weil keine Prospektfehler vorlägen bzw. die Musterklägerin solche nicht schlüssig dargelegt habe. Die Feststellungsziele 2 und 3 seien zurückzuweisen, weil der Prospekt die mit dem Feststellungsziel 1 geltend gemachten Prospektfehler nicht aufweise.
14

2. Es kann dahingestellt bleiben, ob das Oberlandesgericht zu Recht davon ausgegangen ist, dass keine Prospektfehler vorliegen. Denn die Rechtsbeschwerden haben bereits aus einem anderen Grund im Ergebnis keinen Erfolg. Das Feststellungsziel 2 ist wegen des Vorrangs der spezialgesetzlichen Prospekthaftung als unbegründet zurückzuweisen. Somit ist der Vorlagebeschluss hinsichtlich der Feststellungsziele 1 und 3 gegenstandslos.
15

a) Durch das Feststellungsziel 2 sollte nur eine Haftung der Musterbeklagten zu 1 und 2 nach den Grundsätzen der „Prospekthaftung im weiteren Sinne“ durch Verwenden eines unrichtigen oder unvollständigen Verkaufsprospekts als Mittel der schriftlichen Aufklärung festgestellt werden. Denn das Feststellungsziel 2 hat ausschließlich eine Aufklärungspflicht der beiden Musterbeklagten nach den Grundsätzen der „Prospekthaftung im weiteren Sinne“ betreffend die im Feststellungsziel 1 genannten Prospektfehler zum Gegenstand. Mit dem hieran anknüpfenden Feststellungsziel 3 soll ein schuldhaftes Handeln der beiden Musterbeklagten bezüglich der vorvertraglichen Aufklärungspflicht betreffend die im Feststellungsziel 1 genannten Prospektfehler festgestellt werden. Aus dem Vorlagebeschluss ergibt sich ebenfalls, dass mit den drei Feststellungszielen ausschließlich eine Haftung der beiden Musterbeklagten für den fehlerhaften Inhalt des Prospekts nach den Grundsätzen der Prospekthaftung im weiteren Sinne festgestellt werden soll. Die Feststellungsziele 2 und 3 stellen ausdrücklich auf eine Prospekthaftung im weiteren Sinne ab. Im Feststellungsziel 1 geht es um verschiedene Prospektfehler, im Feststellungsziel 2 um die Passivlegitimation der beiden Musterbeklagten „nach den Grundsätzen der Prospekthaftung im weiteren Sinne“ sowie um das Vorliegen einer Pflichtverletzung und im Feststellungsziel 3 um das Verschulden der Pflichtverletzung „nach den Grundsätzen der Prospekthaftung im weiteren Sinne“. Entgegen der Meinung der Rechtsbeschwerden sind daher deliktsrechtliche Ansprüche gegen die Musterbeklagten aus § 826 BGB bzw. § 823 Abs. 2 BGB nicht Gegenstand der Feststellungsziele.
16

Das Feststellungsziel 2 ist im Einklang mit dem Feststellungsziel 3 so auszulegen, dass die in ihm angesprochene Pflichtverletzung nur in der Verwendung eines unrichtigen oder unvollständigen Verkaufsprospekts als Mittel der schriftlichen Aufklärung bestehen kann. Feststellungsziele sind so auszulegen, dass ein prozessual zulässiges Ergebnis erreicht wird. Feststellungen zu einem Schadensersatzanspruch, der nicht an eine falsche, irreführende oder unterlassene öffentliche Kapitalmarktinformation als Mittel der schriftlichen Aufklärung anknüpft, wären im Kapitalanleger-Musterverfahren unstatthaft (Senatsbeschluss vom 19. Januar 2021 – XI ZB 35/​18, BGHZ 228, 237 Rn. 21).
17

b) Die begehrte Feststellung ist nicht zu treffen, weil eine Haftung der Musterbeklagten zu 2 als Gründungsgesellschafterin und der Musterbeklagten zu 1 als Gesellschafterin der Fondsgesellschaft zum Zeitpunkt der Prospektherausgabe aus § 311 Abs. 2, § 241 Abs. 2, § 280 Abs. 1 BGB nicht auf die Verwendung eines Prospekts als solche gestützt werden kann. Ein Anspruch auf dieser Grundlage wird – was der Senat bereits entschieden hat (Senatsbeschluss vom 19. Januar 2021 – XI ZB 35/​18, BGHZ 228, 237 Rn. 22 ff.) – vielmehr durch die Regelungen der spezialgesetzlichen Prospekthaftung verdrängt.
18

Auf den am 7. Juli 2010 aufgestellten Prospekt findet die Regelung des § 8g VerkProspG in der vom 1. Juli 2005 bis zum 31. Mai 2012 geltenden Fassung (im Folgenden: aF) in Verbindung mit § 32 Abs. 2 Satz 1 VermAnlG Anwendung. Damit ist auch der Anwendungsbereich der § 13 VerkProspG, §§ 44 ff. BörsG in der bis zum 31. Mai 2012 geltenden Fassung (im Folgenden: aF) eröffnet.
19

aa) Die Musterbeklagte zu 2 ist Prospektverantwortliche im Sinne von § 44 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BörsG aF. Denn sie hat die Verantwortung für den Prospekt ausdrücklich übernommen (Prospekt, Seite 5). Eine Haftung der Musterbeklagten zu 2 aus § 311 Abs. 2, § 241 Abs. 2, § 280 Abs. 1 BGB, die wie im Feststellungsziel 2 auf die Verwendung des Prospekts gestützt wird, ist daher aufgrund des Vorrangs der spezialgesetzlichen Prospekthaftung ausgeschlossen.
20

bb) Gleiches gilt auch für eine Haftung der Musterbeklagten zu 1 aus § 311 Abs. 2, § 241 Abs. 2, § 280 Abs. 1 BGB, die auf die Verwendung des Prospekts gestützt wird.
21

Nach § 13 VerkProspG, §§ 44 ff. BörsG aF haften neben denjenigen, die für den Prospekt im Sinne des § 8g VerkProspG aF die Verantwortung übernommen haben, im Falle von dort enthaltenen unrichtigen oder unvollständigen wesentlichen Angaben auch diejenigen, von denen der Erlass des Prospekts ausgeht (§ 44 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BörsG aF). Damit sollen die Personen und Unternehmen getroffen werden, von denen die wirtschaftliche Initiative ausgeht und die hinter dem Prospekt stehen und seine eigentlichen Urheber sind (Senatsbeschluss vom 19. Januar 2021 – XI ZB 35/​18, BGHZ 228, 237 Rn. 24 mwN). Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BörsG aF ist von einer Prospektverantwortlichkeit eines Hintermannes als Prospektveranlasser unter anderem dann auszugehen, wenn dieser auf die Konzeption des konkreten, mit dem Prospekt beworbenen und vertriebenen Modells maßgeblich Einfluss genommen hat und damit letztendlich auch für die Herausgabe des Prospekts verantwortlich ist. Dabei können die gesellschaftsrechtliche Funktion des Hintermannes sowie ein erhebliches wirtschaftliches Eigeninteresse für eine Einflussnahme auf die Konzeption des Modells sprechen. Nicht entscheidend ist, ob eine Mitwirkung unmittelbar bei der Gestaltung des Prospekts gegeben ist; ausschlaggebend dagegen ist, ob der Prospekt mit Kenntnis des Verantwortlichen in den Verkehr gebracht worden ist (Senatsbeschluss aaO).
22

Nach diesen Grundsätzen ist die Musterbeklagte zu 1 Prospektverantwortliche im Sinne von § 44 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BörsG aF. Die Musterbeklagte zu 1 ist zwar keine Gründungsgesellschafterin der Fondsgesellschaft. Sie ist aber bereits seit Dezember 2008 Kommanditistin und war damit zum Zeitpunkt der Herausgabe des Prospekts Gesellschafterin der Fondsgesellschaft mit einer Kommanditeinlage in Höhe von 25.000 €. Ihr wirtschaftliches Eigeninteresse ist daher mit dem wirtschaftlichen Eigeninteresse einer Gründungsgesellschafterin vergleichbar, was für die Einstufung der Musterbeklagten zu 1 als Prospektverantwortliche ausreicht (vgl. zur Gründungskommanditistin Senatsbeschluss vom 12. Oktober 2021 – XI ZB 26/​19, WM 2021, 2386 Rn. 24; vgl. auch Klöhn, NZG 2021, 1063, 1068 f.).
23

cc) Die Musterbeklagten zu 1 und 2 hafteten mithin als Prospektverantwortliche (Musterbeklagte zu 2) bzw. als Prospektveranlasserin (Musterbeklagte zu 1) für unrichtige oder unvollständige wesentliche Angaben nach den Grundsätzen der spezialgesetzlichen Prospekthaftung aus § 13 VerkProspG, §§ 44 ff. BörsG aF. Neben dieser ist eine Haftung der Musterbeklagten unter dem Aspekt einer vorvertraglichen Pflichtverletzung aufgrund der Verwendung eines unrichtigen, unvollständigen oder irreführenden Prospekts als Mittel der schriftlichen Aufklärung ausgeschlossen (Senatsbeschluss vom 19. Januar 2021 – XI ZB 35/​18, BGHZ 228, 237 Rn. 26).
24

Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht aus den von den Rechtsbeschwerden zitierten Entscheidungen des II. und des III. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs (vgl. Senatsbeschluss vom 27. April 2021 – XI ZB 35/​18, BKR 2021, 774 Rn. 7 f. in Bezug auf das Urteil des III. Zivilsenats vom 13. August 2020 [III ZR 148/​19, WM 2020, 1862 ff.] und das Urteil des II. Zivilsenats vom 19. November 2019 [II ZR 306/​18, WM 2020, 169 ff.]).
25

Den nicht veröffentlichten und gemäß § 544 Abs. 6 Satz 2 Halbsatz 2 ZPO nicht näher begründeten Beschlüssen des II. Zivilsenats in den Verfahren II ZR 280/​16, II ZR 323/​18 und II ZR 191/​19 lässt sich nur entnehmen, dass die Nichtzulassungsbeschwerden gegen die oberlandesgerichtlichen Entscheidungen zurückgewiesen worden sind, weil kein Revisionszulassungsgrund gegeben war. Dass in den jeweiligen Beschwerdebegründungen das Verhältnis zwischen spezialgesetzlicher Prospekthaftung und Prospekthaftung im weiteren Sinne überhaupt thematisiert worden wäre, tragen die Rechtsbeschwerden nicht vor.
26

Das Verfahren II ZR 358/​16 betraf eine mögliche Haftung eines Gründungsgesellschafters aufgrund von – ihm über § 278 BGB zuzurechnenden – unrichtigen oder unzureichenden Angaben einer Vertriebsmitarbeiterin beim Beratungsgespräch, wobei revisionsrechtlich zu unterstellen war, dass die klagenden Anleger den Prospekt nicht zur Kenntnis genommen hatten (BGH, Urteil vom 4. Juli 2017 – II ZR 358/​16, WM 2017, 1640 Rn. 10 f.). Auch im Verfahren II ZR 139/​17 ging es um eine derartige Konstellation, wobei dort davon auszugehen war, dass dem klagenden Anleger der Verkaufsprospekt vor Zeichnung der Beteiligung nicht vorlag (BGH, Urteil vom 8. Januar 2019 – II ZR 139/​17, WM 2019, 495 Rn. 1 und 25 ff.). Der Senat hat in seinem Beschluss vom 19. Januar 2021 (XI ZB 35/​18, BGHZ 228, 237 Rn. 26 im Anschluss an Senatsbeschluss vom 23. Oktober 2018 – XI ZB 3/​16, BGHZ 220, 100 Rn. 57) nicht in Frage gestellt, dass Gründungsgesellschafter Anlegern aus anderen Gründen als durch Verwenden einer Kapitalmarktinformation als Mittel der schriftlichen Aufklärung – etwa wegen unrichtiger mündlicher Zusicherungen – nach § 280 Abs. 1 BGB i.V.m. § 311 Abs. 2 BGB (und gegebenenfalls § 278 BGB) haften können (vgl. Senatsbeschluss vom 27. April 2021 – XI ZB 35/​18, BKR 2021, 774 Rn. 8).
27

In der Entscheidung des III. Zivilsenats vom 16. März 2017 ging es um die Haftung einer Treuhandkommanditistin, die nicht zu den Gründungsgesellschaftern gehörte und auch keinen eigenen Gesellschaftsanteil an der Fondsgesellschaft hielt (BGH, Urteil vom 16. März 2017 – III ZR 489/​16, WM 2017, 708 Rn. 2) und deren Pflichtverletzung darin bestand, unrichtige Prospektangaben nicht von sich aus richtig gestellt zu haben (vgl. BGH, Urteil vom 16. März 2017, aaO Rn. 19). Es ist daher schon nicht ersichtlich, dass diese Treuhandkommanditistin zu dem Personenkreis gehörte, der nach § 13 VerkProspG, §§ 44 ff. BörsG aF haften kann.
28

Den Entscheidungen in den Verfahren II ZR 9/​12, III ZR 264/​14 und II ZR 331/​14 lagen Beteiligungen an Fondsgesellschaften im Jahr 2000 (BGH, Urteile vom 22. Oktober 2015 – III ZR 264/​14, WM 2015, 2238 Rn. 2 und vom 21. Juni 2016 – II ZR 331/​14, WM 2016, 1487 Rn. 1), im Oktober 2004 und im Mai 2005 (BGH, Urteil vom 9. Juli 2013 – II ZR 9/​12, WM 2013, 1597 Rn. 1) zugrunde. Die Regelungen des Anlegerschutzverbesserungsgesetzes vom 28. Oktober 2004 (BGBl. I S. 2630) zur Haftung nach § 13 VerkProspG, §§ 44 ff. BörsG für unrichtige oder unvollständige Angaben in einem Prospekt im Sinne des § 8g VerkProspG, auf welche sich die Entscheidung des Senats vom 19. Januar 2021 (XI ZB 35/​18, BGHZ 228, 237 ff.) bezieht, traten jedoch erst am 1. Juli 2005 und somit danach in Kraft.
29

c) Da der Antrag zu dem Feststellungsziel 2 in der Sache unbegründet ist, ist der Vorlagebeschluss hinsichtlich der Feststellungsziele 1 und 3 gegenstandslos.
30

Gegenstandslos wird der dem Musterverfahren zugrundeliegende Vorlagebeschluss hinsichtlich eines Feststellungsziels, wenn die Entscheidungserheblichkeit dieses Feststellungsziels aufgrund der vorausgegangenen Prüfung im Musterverfahren entfallen ist (Senatsbeschlüsse vom 22. November 2016 – XI ZB 9/​13, BGHZ 213, 65 Rn. 106, vom 19. September 2017 – XI ZB 17/​15, BGHZ 216, 37 Rn. 49, vom 23. Oktober 2018 – XI ZB 3/​16, BGHZ 220, 100 Rn. 61 und vom 6. Oktober 2020 – XI ZB 28/​19, WM 2020, 2411 Rn. 54).
31

Das ist hier für das Feststellungsziel 1, das verschiedene Prospektfehler zum Gegenstand hat, und hinsichtlich des Feststellungsziels 3, mit dem geltend gemacht wird, die Musterbeklagten zu 1 und 2 hätten diese Prospektfehler erkennen können und nach den Grundsätzen der Prospekthaftung im weiteren Sinne schuldhaft gehandelt, der Fall. Der Vorlagebeschluss ist dahin auszulegen, dass die Prospektfehler ausschließlich als anspruchsbegründende Voraussetzung einer Haftung der Musterbeklagten unter dem Aspekt einer vorvertraglichen Pflichtverletzung aufgrund der Verwendung eines unrichtigen, unvollständigen oder irreführenden Prospekts als Mittel der schriftlichen Aufklärung festgestellt werden sollen (vgl. Senatsbeschlüsse vom 19. September 2017 – XI ZB 17/​15, BGHZ 216, 37 Rn. 54 und vom 12. Oktober 2021 – XI ZB 26/​19, WM 2021, 2386 Rn. 28). Im Vorlagebeschluss ist ausgeführt, dass die Parteien sämtlicher Musterverfahrensanträge um Schadensersatzansprüche aus Prospekthaftung im weiteren Sinne streiten würden. Das Verschulden der Musterbeklagten zu 1 und 2 soll nach dem Feststellungsziel 3 ebenfalls nur im Hinblick auf eine Prospekthaftung im weiteren Sinne festgestellt werden. Da eine solche Haftung aus Rechtsgründen nicht gegeben ist, kommt es auf Feststellungen zu Prospektfehlern und zum Verschulden der Musterbeklagten nicht mehr an.
32

Der Senat ist weder durch den Vorlagebeschluss noch durch den Musterentscheid an eine bestimmte Prüfungsreihenfolge der Feststellungsziele gebunden (vgl. Senatsbeschlüsse vom 22. November 2016 – XI ZB 9/​13, BGHZ 213, 65 Rn. 106 und vom 12. Oktober 2021 – XI ZB 26/​19, WM 2021, 2386 Rn. 29 ff.) und daher zu einer entsprechenden Änderung des Musterentscheids befugt.
III.
33

Die Rechtsbeschwerden rügen zu Unrecht die Zuständigkeit des Senats.
34

Der XI. Zivilsenat ist nach A. I. XI. Zivilsenat 1.c) des Geschäftsverteilungsplans des Bundesgerichtshofs für das Geschäftsjahr 2020 ausschließlich zuständig für Rechtsstreitigkeiten über Prospekthaftungsansprüche nach §§ 13, 13a VerkProspG. Die Zuständigkeit für spezialgesetzliche Prospekthaftungsansprüche besteht seit dem Jahr 1996. Der Senat ist damit auch zuständig, über das Konkurrenzverhältnis zwischen gesetzlicher Prospekthaftung nach § 13 VerkProspG, §§ 44 ff. BörsG aF und bürgerlich-rechtlicher Prospekthaftung zu entscheiden. Denn ob letztere im Anwendungsbereich der spezialgesetzlichen Prospekthaftung anwendbar ist, ist keine Frage der bürgerlich-rechtlichen Prospekthaftung, sondern eine Frage nach der Reichweite der Rechtsfolgen der gesetzlichen Prospekthaftung (vgl. Senatsbeschluss vom 27. April 2021 – XI ZB 35/​18, BKR 2021, 774 mit zust. Anm. Ueding; Klöhn, NZG 2021, 1063, 1071; Schulz, EWiR 2022, 133, 134 f.).
IV.
35

Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens folgt aus § 26 Abs. 1 und 3 KapMuG i.V.m. §§ 91, 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO entsprechend. Danach haben die Musterrechtsbeschwerdeführerin und die Rechtsbeschwerdeführer zu 1 und 2 die gesamten Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens nach dem Grad ihrer Beteiligung zu tragen. Soweit der Senat auf die (teilweise) Gegenstandslosigkeit des Vorlagebeschlusses erkennt, ist damit eine den Rechtsbeschwerden günstige Entscheidung in der Sache, die eine Belastung der Musterbeklagten mit Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens rechtfertigte, nicht verbunden (vgl. Senatsbeschluss vom 23. Oktober 2018 – XI ZB 3/​16, BGHZ 220, 100 Rn. 76).
V.
36

Die Entscheidung über die Festsetzung des Streitwerts für die Gerichtskosten folgt aus § 51a Abs. 2 GKG. Gemäß § 51a Abs. 2 GKG ist im Rechtsbeschwerdeverfahren nach dem Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz bei der Bestimmung des Streitwerts von der Summe der in sämtlichen Ausgangsverfahren geltend gemachten Ansprüche auszugehen, soweit diese von den Feststellungszielen des Musterverfahrens betroffen sind. Infolgedessen sind bei der Streitwertbemessung auch die in den Ausgangsverfahren geltend gemachten Ansprüche der Beigeladenen zu berücksichtigen, die zwar dem Rechtsbeschwerdeverfahren nicht beigetreten sind, ihre Klage aber nicht innerhalb der Monatsfrist des § 8 Abs. 3 Nr. 2, § 24 Abs. 2 KapMuG zurückgenommen haben (vgl. Senatsbeschlüsse vom 22. November 2016 – XI ZB 9/​13, BGHZ 213, 65 Rn. 117 und vom 23. Oktober 2018 – XI ZB 3/​16, BGHZ 220, 100 Rn. 80). Der Gesamtwert der in sämtlichen ausgesetzten Ausgangsverfahren geltend gemachten Ansprüche beträgt vorliegend bis zu 1.150.000 €.
37

Die Festsetzung des Gegenstandswerts für die außergerichtlichen Kosten richtet sich nach § 23b RVG. Danach bestimmt sich der Gegenstandswert nach der Höhe des von dem Auftraggeber oder gegen diesen im Prozessverfahren geltend gemachten Anspruchs, soweit dieser Gegenstand des Musterverfahrens ist. Für die Prozessbevollmächtigten, die mehrere Beteiligte im Rechtsbeschwerdeverfahren vertreten, ist der Gegenstandswert für die Bestimmung der außergerichtlichen Kosten gemäß § 22 Abs. 1 RVG in Höhe der Summe der nach § 23b RVG zu bestimmenden Streitwerte festzusetzen (vgl. Senatsbeschlüsse vom 22. November 2016 – XI ZB 9/​13, BGHZ 213, 65 Rn. 118 und vom 23. Oktober 2018 – XI ZB 3/​16, BGHZ 220, 100 Rn. 81).
38

Danach ist der Gegenstandswert für die Bestimmung der außergerichtlichen Kosten des Prozessbevollmächtigten der Musterrechtsbeschwerdeführerin und der Rechtsbeschwerdeführer zu 1 und 2 auf 277.978,60 € und für die Bestimmung der außergerichtlichen Kosten des Prozessbevollmächtigten der Musterbeklagten zu 2 auf bis zu 1.150.000 € festzusetzen.
Ellenberger Menges Derstadt
Schild von Spannenberg Ettl

Vorinstanzen:
LG Hamburg, Entscheidung vom 06.12.2018 – 319 OH 5/​18 –
OLG Hamburg, Entscheidung vom 26.06.2020 – 13 Kap 4/​19 –

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