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BGH zwingt Ex-Wirecard-Prüfer zur Offenlegung – Insolvenzverwalter erzielt wegweisenden Erfolg

geralt (CC0), Pixabay
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Der Bundesgerichtshof (BGH) hat im Streit zwischen dem Insolvenzverwalter der zusammengebrochenen Wirecard-Gesellschaften und einer langjährig zuständigen Wirtschaftsprüfungsgesellschaft ein Urteil gefällt, das weit über den Einzelfall hinaus Bedeutung hat. In dem Verfahren ging es um die Frage, ob der Insolvenzverwalter Anspruch auf Auskunft und Einsicht in Handakten der Prüfer hat – sowohl aus regulären Abschlussprüfungen als auch aus der forensischen Sonderuntersuchung „Projekt Ring“.

Der III. Zivilsenat des BGH gab dem Insolvenzverwalter in wesentlichen Punkten recht und verurteilte die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft dazu, umfassende Einsicht in zentrale Prüfungsunterlagen zu gewähren.

Hintergrund: Jahrzehntelange Prüfungstätigkeit und ein unterbrochenes Sondergutachten

Die beklagte Wirtschaftsprüfungsgesellschaft war über Jahre hinweg als Abschlussprüferin für die Wirecard AG und die Wirecard Technologies GmbH tätig. Zwischen 2014 und 2018 bestätigte sie alle Jahres- und Konzernabschlüsse mit uneingeschränkten Testaten – trotz interner Warnungen im Frühjahr 2017, wonach Umsätze aus 2015 und 2016 nicht ordnungsgemäß nachgewiesen seien.

Zusätzlich führte sie ab 2016 die forensische Sonderuntersuchung „Projekt Ring“ durch. Diese sollte den Verdacht überteuerter Akquisitionen indischer Gesellschaften aufklären, wurde jedoch 2018 auf Druck des Wirecard-Vorstands abgebrochen.

Als Wirecard im Juni 2020 zusammenbrach und der Insolvenzverwalter eingesetzt wurde, verlangte dieser u. a.:

  • Auskunft über alle vorhandenen Handakten,

  • Einsicht in die vollständigen Unterlagen,

  • Beantwortung von Fragen zur Prüfung des Konzernabschlusses 2016,

  • sowie ein Verbot der Aktenvernichtung.

Der Rechtsstreit: Teilerfolg vor dem Landgericht – Einschränkungen in der Berufung

In den Vorinstanzen hatte der Insolvenzverwalter bereits teilweise Erfolg. Das Landgericht sprach ihm weitreichende Einsichtsrechte zu, das Berufungsgericht schränkte diese jedoch wieder ein und verwies auf interne Arbeitspapiere, Notizen oder persönliche Eindrücke der Prüfer, die angeblich geschützt seien.

Sowohl der Verwalter als auch die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft zogen daraufhin vor den BGH.

Die Entscheidung des BGH: Weitreichende Auskunftspflichten – aber Verjährung bei älteren Jahren

Der BGH stellte klar, dass der Insolvenzverwalter auf Grundlage von § 666 BGB i.V.m. § 675 BGB und § 80 InsO Anspruch auf Auskunft und Einsicht hat. Diese Normen verpflichten einen Beauftragten, seinem Auftraggeber – hier vertreten durch den Insolvenzverwalter – vollständig Rechenschaft abzulegen.

Erfolgreiche Ansprüche des Verwalters:

  • Prüfungsunterlagen 2016–2019

  • Handakten zur forensischen Untersuchung „Projekt Ring“

  • Antwort auf Fragen zur Konzernprüfung 2016

Der BGH wies ausdrücklich die Einschränkungen der Vorinstanz zurück. Zu sogenannte „internen Arbeitspapieren“ oder persönlichen Eindrücken habe die Prüferin nicht konkret genug vorgetragen. Damit könne sie sich nicht pauschal der Herausgabe entziehen.

Teilweise abgewiesen: Verjährung der Unterlagen 2014 und 2015

Anders sieht es bei älteren Geschäftsjahren aus: Die Ansprüche für 2014 und 2015 sind verjährt. Damit erhält der Insolvenzverwalter erst ab 2016 Einblick in die Prüfunterlagen.

Kein Erfolg beim Vernichtungsverbot

Ein Unterlassungsanspruch auf die Sicherung bzw. Nichtvernichtung der Handakten besteht laut BGH nicht, da dem Insolvenzverwalter keine konkrete Gefahr nachgewiesen wurde, dass die Prüferakten tatsächlich vernichtet würden.

Einordnung: Signalwirkung für künftige Prüfungsverfahren

Das Urteil hat erhebliche Bedeutung für den Umgang mit Prüferunterlagen im Insolvenzfall. Der BGH bestätigt:

  • Wirtschaftsprüfer können sich nicht ohne Weiteres auf interne Dokumente oder Berufsgeheimnisse zurückziehen.

  • Insolvenzverwalter haben ein starkes Informationsrecht, um mögliche Pflichtverletzungen aufzuklären.

  • Die Anwendung des § 666 BGB auf Wirtschaftsprüfer ist zulässig und wird nicht durch Spezialgesetze verdrängt.

Damit wird die Transparenz im Verhältnis zwischen Unternehmen und Abschlussprüfern gestärkt – ein Impuls, der weit über Wirecard hinausreicht.

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