Mehr als vier Jahre nach dem spektakulären Zusammenbruch des Wirecard-Konzerns beschäftigt der Fall erneut den Bundesgerichtshof (BGH). Am Donnerstag prüft das höchste deutsche Zivilgericht eine zentrale Frage für zehntausende geschädigte Anlegerinnen und Anleger: Haben Aktionäre im Insolvenzverfahren dieselben Rechte wie andere Gläubiger – oder stehen sie hinten an?
Im konkreten Verfahren klagt die Union Investment, eine der größten deutschen Vermögensverwaltungen. Sie verlangt von der Insolvenzmasse Schadenersatz in Millionenhöhe und argumentiert, Wirecard habe über Jahre hinweg Bilanzen gefälscht und ein funktionierendes Geschäftsmodell nur vorgetäuscht. Die Investoren seien dadurch in die Irre geführt worden und hätten ihr Kapital auf Grundlage falscher Informationen angelegt.
Das Problem: Nach geltendem Insolvenzrecht sind Aktionäre in der Regel nachrangig, da sie als Eigentümer eines Unternehmens gelten – und nicht als klassische Gläubiger. Das bedeutet: Erst wenn alle anderen Forderungen beglichen sind, könnten sie überhaupt etwas aus der Insolvenzmasse erhalten.
Die Entscheidung des BGH hat daher Signalwirkung. Sollte das Gericht den Aktionären einen gleichrangigen Anspruch zubilligen, könnten tausende Anleger auf eine deutlich höhere Entschädigung hoffen.
Eine solche Entscheidung würde nicht nur die Aufarbeitung des Wirecard-Skandals verändern, sondern auch zukünftige Insolvenzverfahren börsennotierter Unternehmen beeinflussen.
Der Wirecard-Skandal gilt als einer der größten Wirtschaftsbetrugsfälle in der deutschen Nachkriegsgeschichte. Über Jahre hatte der DAX-Konzern angebliche Guthaben auf Treuhandkonten in Asien ausgewiesen – insgesamt rund 1,9 Milliarden Euro, die in Wahrheit nie existierten. 2020 brach das Kartenhaus zusammen, der Vorstandsvorsitzende Markus Braun wurde verhaftet, andere Verantwortliche flohen ins Ausland.
Für viele der rund 40.000 betroffenen Aktionäre ist der Prozess vor dem BGH die letzte Hoffnung auf eine finanzielle Wiedergutmachung. Ob sie tatsächlich auf eine bessere Rangstellung hoffen dürfen, ist allerdings offen. Juristen erwarten, dass der BGH zwar die rechtlichen Grundsätze klärt, die konkrete Entscheidung über einzelne Ansprüche aber an die Vorinstanzen zurückverweisen könnte.
Eines steht fest: Das Urteil wird über die Zukunft vieler Kleinanleger entscheiden – und zeigen, wie weit Aktionärsschutz in Deutschland tatsächlich reicht, wenn ein Milliardenkonzern in sich zusammenbricht.
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