– In einem beispiellosen Akt der politischen Hygiene hat die türkische Regierung erneut durchgegriffen – diesmal mit Staubsauger, Handschellen und einem sehr selektiven Verständnis von Korruptionsbekämpfung.
126 Menschen festgenommen – wegen gefährlicher Nähe zur Opposition.
Die türkische Regierung setzte am Dienstag in Izmir auf ihr bewährtes Reinigungsritual: Kommen, durchsuchen, festnehmen. Offiziell heißt es, es gehe um Korruption in der von der CHP geführten Stadtverwaltung. Kritiker behaupten allerdings, dass Korruption hier synonym für „von der Opposition gewählt“ steht.
Unter den Festgenommenen: der ehemalige Bürgermeister Tunc Soyer – offenbar verdächtig, seine Stadt erfolgreich verwaltet zu haben – und der CHP-Provinzchef Senol Aslanoglu, dem möglicherweise das Tragen eines roten Parteibuchs zur Last gelegt wird.
„Politisches Manöver“, so die Opposition. Die Regierung: „Nein, ganz normale Frühjahrsreinigung.“
CHP-Vize Murat Bakan bezeichnete die Aktion als durchsichtiges Machtspiel. Doch Regierungssprecher beteuerten: Es handle sich keineswegs um politische Verfolgung, sondern um eine „spontane, unvoreingenommene Aktion gegen missliebige Wahlergebnisse“.
Imamoglu: Vom Hoffnungsträger zum Hochsicherheitsinsassen
Auch in Istanbul bleibt kein Stein auf dem anderen – zumindest nicht, wenn er rot ist. Bürgermeister Ekrem Imamoglu, einst potenzieller Herausforderer Erdogans, sitzt seit März im Gefängnis. Die Vorwürfe? Korruption. Beleidigung. Erfolg bei Wahlen. Der letzte Punkt dürfte besonders schwer wiegen.
Proteste? Ja. Wirkung? Eher nein.
Zehntausende protestierten erneut vor dem Istanbuler Rathaus. Slogans wie „Gegen den Faschismus, Schulter an Schulter“ und „Präsident Imamoglu“ hallten durch die Straßen – bis die Polizei mit Tränengas antwortete. Präsident Erdogan selbst bleibt gelassen: „Wenn sie unbedingt laufen wollen, sollen sie sich ein Laufband kaufen.“
Satire – jetzt auch strafbar
Nicht nur Politiker, auch Satiriker sind ins Visier geraten. Vier Mitarbeiter des Magazins „Leman“ wurden festgenommen – wegen einer Karikatur, die eventuell den Propheten Mohammed zeigt. Oder vielleicht auch nicht. Sicher ist nur: Es war eine Zeichnung. Und Zeichnungen sind gefährlich, wie wir seit Charlie Hebdo wissen – oder seit Erdogan.
Der Innenminister auf X (ehemals Twitter):
„Satire ist kein Grundrecht, sondern ein Missverständnis.“
Europa: Sehr besorgt. Also fast.
In Wien schlugen bereits alle Alarmglocken – immerhin äußerte sich SPÖ-Europaabgeordneter Andreas Schieder „tief beunruhigt“. Die EU denkt derweil über eine „entschiedene Reaktion“ nach – möglicherweise ein besonders scharf formulierter Tweet.
Fazit der Woche:
In der Türkei wird nicht gewählt, sondern sortiert. Und wer nicht zum System passt, wird eben – elegant formuliert – „entfernt“. Die CHP steht unter Druck, Satiriker stehen unter Verdacht, und Präsident Erdogan steht wie immer: fest in der Mitte des Machtzentrums – mit Blick auf 2028.
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