Ein Interview mit Rechtsanwalt Jens Reime, Bautzen, über Chancen und Risiken von Online-Festgeldangeboten
Redaktion:
Herr Reime, Plattformen wie Raisin werben derzeit mit Zinsen von über 3 % für Festgeldanlagen. Für viele klingt das sehr attraktiv – ist das die Rückkehr der Zinsen?
Jens Reime:
Tatsächlich sehen wir nach langer Nullzinsphase wieder positive Entwicklungen. 2,5 % bis 3 % sind aktuell durchaus realistisch – gerade bei Angeboten aus dem EU-Ausland. Für sicherheitsorientierte Sparer kann das interessant sein. Aber: Es kommt stark auf das „Kleingedruckte“ an.
Redaktion:
Was genau meinen Sie damit?
Jens Reime:
Viele Anleger übersehen, dass sie bei Raisin nicht direkt bei einer deutschen Bank anlegen, sondern oft bei ausländischen Partnerbanken – etwa aus Litauen, Lettland oder Italien. Zwar gibt es in der EU eine Einlagensicherung bis 100.000 € pro Person und Bank – aber wie zuverlässig die im Krisenfall greift, hängt vom jeweiligen Land ab.
Redaktion:
Das heißt, auch Festgeld kann riskant sein?
Jens Reime:
Ja, zumindest relativ. Es geht weniger um Betrug oder dubiose Anbieter – Raisin ist seriös und reguliert. Aber wer bei einer kleinen litauischen oder italienischen Bank Festgeld anlegt, muss sich bewusst sein: Im Krisenfall trägt nicht Deutschland, sondern der nationale Sicherungsfonds des jeweiligen Landes. Und ob der im Notfall stabil genug ist, lässt sich schwer beurteilen.
Redaktion:
Raisin betont Transparenz, einfache Kontoeröffnung, keine Gebühren – das klingt nach einem Rundum-sorglos-Paket. Täuscht das?
Jens Reime:
Die Oberfläche ist komfortabel – aber das darf nicht dazu führen, dass man Risiken übersieht. Es ist bequem, ein Konto zu eröffnen und Angebote zu vergleichen. Doch viele Kunden verstehen nicht, bei welcher Bank sie letztlich anlegen, welchem Rechtssystem sie unterliegen und was im Falle einer Insolvenz geschieht.
Redaktion:
Was raten Sie Anlegern konkret?
Jens Reime:
Erstens: Die Bonität des Ziellandes prüfen. „AAA“ wie Schweden ist etwas anderes als „BBB+“ wie Italien. Zweitens: Nur so viel investieren, wie man im Zweifel verkraften kann. Drittens: Angebote mit höheren Zinsen kritisch prüfen – denn mehr Zinsen bedeuten oft auch mehr Risiko.
Redaktion:
Und wie sieht es mit Steuerfragen aus?
Jens Reime:
Einige Länder erheben Quellensteuer, andere nicht. Raisin bietet hier oft eine vereinfachte Abführung oder Unterstützung an, aber nicht bei allen Banken. Wer sich nicht auskennt, riskiert ungewollte Steuernachteile – vor allem bei größeren Beträgen.
Redaktion:
Ihr Fazit?
Jens Reime:
Raisin ist eine interessante Plattform – aber keine risikofreie. Wer versteht, wo sein Geld liegt, bei wem es angelegt ist und was im Ernstfall passiert, kann davon profitieren. Wer aber nur auf die Zinsen schaut, könnte am Ende Lehrgeld zahlen.
Redaktion:
Vielen Dank, Herr Reime, für das aufklärende Gespräch!
Hinweis für Anleger:
Auch scheinbar sichere Anlagen wie Festgeld können Risiken bergen – besonders bei ausländischen Banken. Informieren Sie sich umfassend über Bonität, Einlagensicherung und steuerliche Aspekte. Im Zweifel gilt: Erst fragen, dann anlegen.
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