In den Küstendörfern Venezuelas und der benachbarten Inselstaaten herrscht Angst und Verunsicherung. Fischer, die seit Generationen vom Meer leben, wagen sich kaum noch hinaus – zu groß ist die Furcht, im Fadenkreuz der US-Militärschläge zu landen. Seit mehreren Wochen greifen amerikanische Streitkräfte in der Karibik Boote an, die sie des Drogenschmuggels verdächtigen. Doch zwischen den Wellen geraten offenbar auch Unschuldige in Lebensgefahr.
Militärschläge mitten im Fischereigebiet
Nach Angaben von US-Behörden handelt es sich bei den Angriffen um gezielte Operationen gegen sogenannte „Narco-Boote“. Diese sollen dem internationalen Drogenhandel zwischen Südamerika und den USA dienen. Doch viele dieser Boote bewegen sich in denselben Gewässern, in denen Tausende venezolanische und trinidadische Fischer tagtäglich ihren Fang machen.
Seit Beginn der Offensive Anfang September wurden nach offiziellen Angaben mindestens 27 Menschen getötet. Bei einem Angriff nahe der venezolanischen Küste sollen sechs Personen ums Leben gekommen sein – darunter mutmaßlich auch Fischer aus Trinidad und Tobago, die nichts mit Schmuggel zu tun gehabt haben sollen.
Einige Fischer überlebten einen der jüngsten Angriffe und berichteten, dass keine Warnung erfolgt sei. Die Boote seien „ohne Vorankündigung“ beschossen worden.
„Wir fahren mit Angst hinaus“
In den Fischerdörfern entlang der venezolanischen Küste herrscht seitdem Panik und Wut. Viele Boote bleiben an Land, Netze hängen ungenutzt.
„Wir fahren mit Angst hinaus – keiner weiß, ob wir zurückkehren“, erzählt ein Fischer aus der Provinz Sucre gegenüber lokalen Medien. „Wir sind keine Schmuggler, wir suchen nur unseren Lebensunterhalt.“
Auch in Trinidad und Tobago wächst die Sorge. Dort wurde der 29-jährige Chad Joseph, ein erfahrener Fischer, nach einem US-Angriff vermisst gemeldet. Seine Familie zweifelt die amerikanische Darstellung an, wonach sich Schmuggler an Bord befanden. „Er war kein Verbrecher, er war ein Vater, der fischen ging“, sagt seine Schwester.
Kritik an Washington und politische Spannungen
Die venezolanische Regierung reagierte empört auf die US-Angriffe und sprach von einer „Verletzung der nationalen Souveränität“. Caracas brachte den Fall vor den UN-Sicherheitsrat und forderte die internationale Gemeinschaft auf, die Operationen zu verurteilen.
„Diese Schläge sind nichts anderes als außergerichtliche Hinrichtungen auf hoher See“, erklärte Außenminister Yván Gil.
Auch Menschenrechtsorganisationen äußern sich besorgt. Sie fordern eine internationale Untersuchung der Einsätze und warnen davor, dass zivile Fischer in einem „verdeckten Krieg“ zwischen Drogenkartellen und den USA zerrieben werden könnten.
Unklare Beweislage
Während Washington betont, dass sich alle Angriffe gegen bewaffnete Schmuggler richteten, bemängeln Beobachter den Mangel an Transparenz. Bisher wurden keine Beweise veröffentlicht, die eindeutig zeigen, dass die getroffenen Boote tatsächlich Drogen transportierten.
Kritiker warnen, dass der sogenannte „Krieg gegen Drogen“ in der Karibik zunehmend undifferenziert geführt werde – und so Fischer, Seeleute und Händler in Lebensgefahr bringe, die zufällig zur falschen Zeit am falschen Ort sind.
Leben zwischen Hoffnung und Angst
Für viele Fischer bleibt das Meer die einzige Einkommensquelle – doch es ist nun auch zu einem Ort der Bedrohung geworden.
„Das Meer war immer unser Zuhause“, sagt ein älterer Fischer aus der venezolanischen Stadt Carúpano. „Jetzt fürchten wir uns vor jedem Schiff am Horizont.“
Während die US-Regierung ihre Operationen fortsetzt, hoffen die Küstengemeinden auf internationale Aufmerksamkeit – und darauf, dass die See, die einst ihr Leben ernährte, nicht zu ihrem Grab wird.
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