Startseite Interviews „Aktionär sein heißt auch: Verlustrisiko tragen“ – Interview mit Rechtsanwalt Daniel Blazek zur Wirecard-Entscheidung des BGH
Interviews

„Aktionär sein heißt auch: Verlustrisiko tragen“ – Interview mit Rechtsanwalt Daniel Blazek zur Wirecard-Entscheidung des BGH

TheDigitalArtist (CC0), Pixabay
Teilen

Redaktion: Herr Blazek, der Bundesgerichtshof hat am 13. November 2025 entschieden, dass Aktionäre im Insolvenzverfahren der Wirecard AG mit ihren Schadensersatzforderungen nicht als einfache Insolvenzgläubiger gelten. Was bedeutet das konkret?

Daniel Blazek: Der BGH hat sehr deutlich gemacht, dass Aktionäre im Fall von Kapitalmarktdelikten wie Bilanzbetrug keinen Anspruch auf Gleichbehandlung mit regulären Insolvenzgläubigern haben. Wer Aktien erwirbt, trägt eben nicht nur Chancen, sondern auch Risiken. Und diese Risiken – auch die durch Täuschung – führen im Insolvenzfall dazu, dass Ansprüche nachrangig behandelt werden.

Redaktion: Also gehen Wirecard-Aktionäre leer aus?

Blazek: Im Prinzip ja – oder besser gesagt: erst dann, wenn alle anderen Gläubiger voll befriedigt sind, was bei einer Insolvenzmasse von 650 Millionen Euro und Forderungen von über 15 Milliarden Euro illusorisch ist. Die Ansprüche aus dem Erwerb täuschungsbedingt überbewerteter Aktien sind der Beteiligung am Kapitalmarkt unmittelbar zugeordnet – und das honoriert die Insolvenzordnung mit einem Platz ganz hinten in der Rangfolge.

Redaktion: Die Klägerin wollte Schadensersatz in Millionenhöhe – was war ihre Begründung?

Blazek: Sie argumentierte, dass sie durch bewusst falsche Ad-hoc-Mitteilungen der Wirecard AG zum Aktienkauf verleitet wurde und ihr daraus ein Vermögensschaden entstanden sei. Juristisch ist das zwar nachvollziehbar, aber der BGH sagt: Dieser Schaden ist untrennbar mit der Stellung als Aktionär verbunden, also eben kein klassischer Vermögensanspruch wie etwa eine Lieferanten- oder Darlehensforderung.

Redaktion: Worin liegt die Tragweite des Urteils über den Einzelfall hinaus?

Blazek: Es ist ein Grundsatzurteil. Der BGH stellt klar: Aktionäre stehen im Insolvenzfall strukturell hinter den Fremdgläubigern, auch wenn sie getäuscht wurden. Es gibt keine Sonderbehandlung für Kapitalanleger. Das schützt die Systematik der Insolvenzordnung und verhindert, dass Anleger sich im Nachhinein aus ihrer unternehmerischen Verantwortung herausmogeln können.

Redaktion: Was raten Sie betroffenen Anlegern?

Blazek: Die Entscheidung ist bitter, aber juristisch folgerichtig. Wer am Kapitalmarkt agiert, sollte sich immer bewusst sein: Aktienkäufe sind unternehmerische Beteiligungen, keine Sparverträge. Und im Fall von Insolvenz ist das Verlustrisiko real – selbst bei Täuschung. Anleger sollten das künftig stärker berücksichtigen.

Redaktion: Vielen Dank für das Gespräch, Herr Blazek.

Kommentar hinterlassen

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Kategorien

Ähnliche Beiträge
Interviews

Interview mit Rechtsanwalt Daniel Blazek: Was bedeutet der zweite Sonderbeauftragte bei der VdW Pensionsfonds AG?

Frage: Herr Blazek, die BaFin hat einen zweiten „Sonderbeauftragten“ bei der VdW...

Interviews

Interview mit Rechtsanwalt Jens Reime zur Pan American Energy Corp. und dem Boom seltener Erden

Redaktion: Herr Reime, Seltene Erden sind derzeit in aller Munde. Was halten...

Interviews

Ein Erbschein ist kein Freifahrtschein für Europa

Interview mit Rechtsanwältin Kerstin Bontschev, Fachanwältin für Erbrecht, zur aktuellen Entscheidung des...

Interviews

Anbieter stehen in der Pflicht – nicht die Spieler

Interview mit Rechtsanwalt Daniel Blazek zur Entscheidung des OLG Frankfurt über Erstattung...