Startseite Allgemeines 36 Anklagen nach griechischem Zugsunglück – Fahrlässigkeit, Vertuschung, politisches Versagen?
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36 Anklagen nach griechischem Zugsunglück – Fahrlässigkeit, Vertuschung, politisches Versagen?

geralt (CC0), Pixabay
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Mehr als zwei Jahre nach der schlimmsten Bahnkatas­trophe in der Geschichte Griechenlands erhebt die Justiz nun schwere Vorwürfe: 36 Personen stehen im Zusammenhang mit dem Tempi-Unglück vor Gericht. Die Staatsanwaltschaft legt ihnen unter anderem fahrlässige Tötung, Gefährdung der öffentlichen Sicherheit sowie Pflichtverletzungen im Amt zur Last.

Am 28. Februar 2023 war ein Personenzug mit über 350 Passagieren auf der Strecke Athen–Thessaloniki frontal mit einem Güterzug kollidiert. 57 Menschen verloren ihr Leben, viele von ihnen junge Studierende, die aus den Semesterferien zurückkehrten. Mehr als 100 Menschen wurden teils schwer verletzt.

Menschliches Versagen – oder ein System, das versagte?

Schnell rückte der Bahnhofsvorsteher von Larissa ins Zentrum der Ermittlungen. Er war in der Unglücksnacht alleine im Dienst – ein Umstand, der in einem modernen Schienennetz kaum vorstellbar ist. Nach dem Unfall räumte er ein, eine falsche Weichenstellung vorgenommen zu haben. Doch immer deutlicher wurde: Der Fehler eines Einzelnen erklärt nicht das Ausmaß dieser Katastrophe.

Griechische Medien und Experten sprechen von einem maroden System, das seit Jahren unterfinanziert, überlastet und veraltet ist. Automatische Signalsysteme und Sicherheitssoftware, die solche Unfälle verhindern könnten, waren zum Zeitpunkt des Unglücks nicht in Betrieb. Stattdessen mussten Mitarbeiter die Zugstrecken manuell koordinieren – ein Relikt aus einer anderen Zeit.

Die Rolle des Verkehrsministeriums

Nach dem Unglück trat der damalige Verkehrsminister Kostas Karamanlis zurück. Doch sein Rücktritt bedeutete nicht das Ende der Verantwortung. Das Parlament leitete im Juni 2025 eine Untersuchungskommission ein, um seine mögliche Mitverantwortung zu prüfen. Karamanlis wird vorgeworfen, trotz zahlreicher Warnungen nicht ausreichend in die Modernisierung der Bahn investiert und auf Sicherheitsdefizite nicht reagiert zu haben.

Oppositionsparteien kritisieren, dass es sich um ein systemisches Staatsversagen handle – verursacht durch jahrelange politische Versäumnisse, Korruption und Missmanagement. Viele Griechen sehen in dem Unglück ein Symbol dafür, wie gefährlich Ignoranz und Vetternwirtschaft in der öffentlichen Verwaltung sein können.

Wut, Trauer – und der Ruf nach Gerechtigkeit

Noch heute versammeln sich regelmäßig Angehörige der Opfer zu Mahnwachen und Protesten. Sie werfen der Regierung vor, Beweismittel manipuliert oder vernichtet zu haben, um die Verantwortung der Behörden zu verschleiern. Mehrere Whistleblower berichteten von verschwundenen Daten, gelöschten Aufzeichnungen und fehlenden Dokumenten.

„Unsere Kinder sind nicht durch Zufall gestorben“, sagte eine Mutter eines Opfers vor griechischen Medien. „Sie starben, weil der Staat weggeschaut hat.“

Die Proteste haben in Griechenland zu einem breiten öffentlichen Diskurs geführt: über Vertrauen in den Staat, politische Rechenschaftspflicht und die Würde der Opfer. Viele sehen das Tempi-Unglück heute als Wendepunkt – als Moment, der den tiefen Riss zwischen Bevölkerung und Politik offenlegte.

Ein Prozess mit Signalwirkung

Die Anklagen gegen 36 Personen sind ein erster Schritt. Doch ob der Prozess tatsächlich Verantwortung sichtbar macht oder erneut in Symbolpolitik endet, bleibt abzuwarten. Die Verfahren könnten sich über Jahre hinziehen – zu komplex sind die Verstrickungen zwischen staatlichen Behörden, Bahnunternehmen und politischen Entscheidungsträgern.

Fest steht: Der Fall Tempi wird nicht nur juristisch, sondern auch moralisch zu einer Nagelprobe für die griechische Demokratie. Für viele Betroffene geht es längst nicht mehr nur um Gerechtigkeit – sondern um die Frage, ob in Griechenland Lehren aus der Katastrophe gezogen werden, damit sich ein solches Unglück niemals wiederholt.

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