Mit Blick auf Notre-Dame, frischer Luft und selbstbestimmten Arbeitszeiten erscheint der Beruf des Bouquiniste beinahe wie ein Traum. Die traditionsreichen Buchverkäufer an den Ufern der Seine sind seit rund 500 Jahren fester Bestandteil des Pariser Stadtbildes – und sie kämpfen leidenschaftlich dafür, dass das so bleibt.
„Es ist mein Leben, nicht nur ein Job“, sagt die 76-jährige Sylvia Brui, die seit acht Jahren am Quai de Conti alte Bücher verkauft. „Wir verkaufen Dinge, die wir lieben.“
Die Geschichte der Bouquinistes reicht bis ins Jahr 1550 zurück, als die ersten Straßenhändler auf der Île de la Cité im Herzen von Paris ihre Ware anboten. Mit dem Bau der Pont Neuf im Jahr 1606 – der ersten Brücke ohne Gebäude – erhielten sie mehr Raum, um ihre Bücher und Drucke auszustellen. Anfang des 20. Jahrhunderts vereinheitlichte die Stadt das Erscheinungsbild der Stände: grüne Metallkisten mit aufklappbarem Deckel, die den Blick auf das Flussufer freigeben.
Heute säumen rund 230 dieser Stände die Seine über eine Strecke von drei Kilometern. Angeboten werden alte und neue Bücher, Grafiken, Briefmarken und Magazine – eine Open-Air-Buchhandlung unter freiem Himmel.
Leidenschaft für Bücher statt Miete und Steuern
Die Verkäufer zahlen weder Miete noch Steuern, müssen sich jedoch an strenge Regeln halten. Die Stadt Paris vergibt die Standplätze über ein Komitee. Interessierte müssen sich mit Lebenslauf und Motivationsschreiben bewerben. Wer ausgewählt wird, erhält eine fünfjährige Genehmigung und muss seinen Stand an mindestens vier Tagen pro Woche öffnen – bei schlechtem Wetter ausgenommen.
Zugelassen sind der Verkauf alter und gebrauchter Bücher, Drucke und Papiere. Andere Sammelobjekte wie Münzen oder Postkarten dürfen angeboten werden, solange sie nicht mehr als eine Kiste füllen.
„Man braucht Erfahrung und Wissen“, sagt Jérôme Callais, Präsident des Vereins Association Culturelle des Bouquinistes de Paris. Kein Wunder also, dass etwa 80 % der Verkäufer über 50 Jahre alt sind.
So wie Ozan Yigitkeskin, der mit 52 Jahren seinen Stand eröffnete, nachdem er jahrelang online Bücher verkauft hatte. „Mein erster Job mit 15 war das Bücherverkaufen per Fahrrad in Istanbul“, erzählt er. Heute bietet er Bücher in mehreren Sprachen an – und freut sich darüber, keine Miete zahlen zu müssen.
Auch Camille Goudeau, 35, hat sich ihren Traum erfüllt. Nach Jahren als Angestellte bei anderen Verkäufern eröffnete sie einen eigenen Stand für Science-Fiction und Fantasy. Ihr Ziel: „Ich verkaufe günstige Secondhand-Bücher, um Menschen zum Lesen zurückzubringen, die damit aufgehört haben.“
Brui erinnert sich an eine junge Frau, die sich nicht in eine Buchhandlung traute. Ihr erstes Buch: Der alte Mann und das Meer. Heute liest sie Joyce.
Menschliche Begegnungen statt Klicks
Der Reiz der Arbeit liege nicht nur im Sortiment, sondern vor allem in der Begegnung mit Menschen, sagen die Händler. „Es ist ein direkter Kontakt, der vielen fehlt“, erklärt Goudeau. Die Stände sind für manche Besucher ein fester Bestandteil des Alltags – und manchmal die einzige soziale Interaktion des Tages.
Claire Leriche, seit 15 Jahren dabei, bestätigt das: „Wenn ich jemandem eine Postkarte von 1904 zeige und ihre Geschichte erzähle, ist das ein magischer Moment.“
Viele junge Menschen zieht es ebenfalls an die Seine. Die 26-jährige Literaturstudentin Laura Contreras sucht dort nach Briefen und Essays, etwa von Simone de Beauvoir. „Jedes Stück hat seine eigene Geschichte“, sagt sie.
Marie-Samuelle Klein, 23, schwärmt vom Geruch alter Bücher: „Ich liebe es, wenn Bücher alt sind. Es fühlt sich an, als hätte jede Seite ein eigenes Leben.“
Bedrohte Tradition mit Überlebenswillen
Trotz digitalem Wandel, Onlinehandel und E-Books lassen sich die Bouquinistes nicht verdrängen. „Wir müssen die Menschen zu uns holen“, sagt Callais. „Hier geht es um menschliche Begegnung, um Kultur. Das ist unser Wert.“
Eine besondere Herausforderung stellte 2024 das Rahmenprogramm der Olympischen Spiele in Paris dar. Die Pläne zur Eröffnungsfeier sahen vor, viele Stände temporär zu entfernen. Doch nach einem öffentlichen Aufschrei blieb ihr Platz an der Seine bestehen.
„Jedes Jahr heißt es: ‚Die Bouquinistes sterben aus‘“, erzählt Camille Goudeau. „Aber wir sind noch da. Und ich hoffe, wir bleiben es noch lange.“
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