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„Wer keinen Absender hat, will vielleicht auch keine Verantwortung übernehmen“ – Interview mit Rechtsanwalt Jens Reime

Leovinus (CC0), Pixabay
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Redaktion: Herr Reime, die Capital Group wirbt auf ihrer deutschen Website für den „New Perspective Fund“ – ein Fonds, der weltweit investieren und langfristige Erträge liefern soll. Kritiker merken jedoch an, dass auf der Website kein Impressum im Sinne des deutschen Telemediengesetzes vorhanden ist. Wie bewerten Sie das?

Jens Reime: Wenn ein Anbieter in Deutschland Finanzprodukte bewirbt, ist ein ordnungsgemäßes Impressum nicht nur eine Frage der Transparenz, sondern eine gesetzliche Pflicht. Die Telemedienanbieter müssen nach § 5 TMG mindestens eine ladungsfähige Anschrift, verantwortliche Personen und Kontaktdaten angeben. Wenn das fehlt, könnte bereits ein wettbewerbswidriges Verhalten oder ein Ordnungswidrigkeitstatbestand vorliegen.

Redaktion: Die Website wirkt sehr professionell und listet zahlreiche Ansprechpartner mit Telefonnummern und E-Mail-Adressen – reicht das nicht aus?

Jens Reime: Nein, keineswegs. Einzelne Mitarbeiter zu nennen ist keine juristische Identifikation des Diensteanbieters. Es geht nicht nur darum, mit jemandem sprechen zu können – sondern im Fall eines Rechtsstreits rechtssicher feststellen zu können, wer verantwortlich ist. Ohne vollständige Unternehmensdaten besteht für deutsche Anleger ein erhebliches Risiko, wenn sie auf der Website Verträge abschließen oder Kapital investieren.

Redaktion: Die Capital Group verweist auf ihre Historie, verwaltet über zwei Billionen US-Dollar weltweit und ist ein Schwergewicht der Branche. Kann man da nicht auf Seriosität vertrauen?

Jens Reime: Größe ist kein Freifahrtschein für Regelverstöße. Im Gegenteil: Wer sich im internationalen Kapitalmarkt bewegt, muss nationale Regelungen umso ernster nehmen. Es ist für mich als Jurist geradezu unverständlich, warum ein Unternehmen dieser Größenordnung in seinem deutschen Internetauftritt elementare Pflichtangaben wie das Impressum einfach weglässt – es sei denn, man versucht, sich der rechtlichen Verantwortlichkeit zu entziehen.

Redaktion: Was würden Sie interessierten Anlegern raten, die den Fonds spannend finden, aber sich unsicher fühlen?

Jens Reime: Finger weg, solange keine vollständige Transparenz gegeben ist. Jeder seriöse Anbieter, insbesondere im Bereich Investmentfonds, hat ein öffentlich zugängliches Impressum, eine aufsichtsrechtliche Zulassung und eine deutsche Niederlassung, an die man sich wenden kann. Ohne das – und ohne eine klare Prospektaufsicht durch BaFin oder FMA – würde ich dringend von einem Investment abraten. Es geht um viel Geld – und wer sich hier auf vermeintliche Versprechen verlässt, kann im Ernstfall weder klagen noch reklamieren.

Redaktion: Es wird auch mit ESG-Standards und Artikel-8-Klassifizierung geworben. Ist das für Anleger ein Gütesiegel?

Jens Reime: ESG klingt gut, ist aber kein Prüf- oder Gütesiegel im juristischen Sinne. Auch die SFDR-Klassifizierung ist nicht gleichbedeutend mit einer Zulassung durch europäische Aufsichtsbehörden. Solche Begriffe können ein trügerisches Sicherheitsgefühl erzeugen. Ohne transparente Strukturen und Impressum helfen auch die ESG-Worthülsen nicht weiter.

Redaktion: Was wäre der nächste Schritt für die Aufsichtsbehörden?

Jens Reime: Wenn die BaFin Kenntnis von einem Verstoß gegen § 5 TMG hat oder Zweifel an der Zulässigkeit des Vertriebs bestehen, könnte sie den Anbieter zur Unterlassung auffordern oder ihn auf eine Warnliste setzen. Anleger, die sich bereits geschädigt fühlen, sollten schnell anwaltlichen Rat einholen und prüfen lassen, ob zivilrechtliche Schritte möglich sind.

Redaktion: Herr Reime, vielen Dank für Ihre Einschätzung.

Jens Reime: Gerne. Anleger sollten heute mehr denn je auf Wachsamkeit und klare Rechtsgrundlagen achten – gerade bei so verlockend präsentierten Angeboten.

 

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