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Weihnachten an der Front – Bericht eines Kriegsreporters aus der Ostukraine, Dezember 2025

Shrooomy (CC0), Pixabay
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Donezk, 24. Dezember 2025 – 22:47 Uhr
Es schneit. Leise, fast zärtlich fällt der Schnee auf verbrannte Erde. Auf zerstörte Dächer. Auf improvisierte Schützengräben, die sich durch gefrorene Felder ziehen wie offene Wunden. Ich schreibe diese Zeilen in einem ehemaligen Klassenzimmer in der Nähe von Awdijiwka, unweit der Frontlinie. Dort, wo Weihnachten nicht riecht nach Bratäpfeln, sondern nach kaltem Metall, Diesel und Angst.

Die Fenster sind mit Decken verhängt, kein Licht darf nach außen dringen. Draußen patrouillieren ukrainische Soldaten, manche gerade einmal zwanzig Jahre alt, das Gewehr im Anschlag, das Herz irgendwo zwischen Heimatliebe und Erschöpfung. Drinnen sitzen Zivilisten – Alte, Frauen, Kinder – zusammen auf Matratzen, um eine kleine Petroleumlampe. Ihre Gesichter sind müde, aber nicht leer. Noch nicht.

Neben mir sitzt Olha, 68 Jahre alt. Früher war sie Grundschullehrerin. Heute teilt sie Tee aus und erzählt, wie sie früher jedes Jahr mit ihren Schülern ein Krippenspiel einstudiert hat. Jetzt liest sie Kindern aus einem zerfledderten Buch vor, während im Hintergrund leise das Echo eines entfernten Einschlags zu hören ist.

„Früher haben wir an Weihnachten gesungen“, sagt sie. „Jetzt hören wir zu, ob es wieder näher kommt.“

Ich begleite eine Einheit der Territorialverteidigung. Männer und Frauen, Zivilisten, die zu Soldaten wurden, weil sie keine andere Wahl hatten. Jurij, Vater von drei Kindern, steht in dieser Nacht an einem Checkpoint. In seiner Brusttasche trägt er ein gemaltes Bild seiner Tochter – ein Weihnachtsbaum, krumm und schief, mit der Aufschrift: „Papa, komm zurück. Ich warte.“

„Ich weiß nicht, ob ich zurückkomme“, sagt er, „aber ich muss es versuchen. Für sie.“

Im improvisierten Bunker hinter der Linie, dort wo sich die Freiwilligen sammeln, wurde heute eine Weihnachtskarte aufgehängt. „Слава Україні – Христос народився“ – Ehre der Ukraine – Christus ist geboren. Daneben: eine zerbrochene Christbaumkugel, aufgesammelt aus den Trümmern eines Hauses, das gestern bombardiert wurde. Sie ist das einzige, was glitzert in dieser Nacht.

Ein Sanitäter, Taras, hat einen sterbenden Soldaten gestern an der Hand gehalten. Heute bringt er Tee in einen Notunterstand, in dem zwei verwundete Kinder liegen. „Wenn ich Weihnachten feiere“, sagt er, „dann jedes Mal für die, die es nicht mehr können.“

Die Sehnsucht nach Frieden ist hier keine politische Parole. Sie ist ein stilles, zähes Hoffen. Kein Pathos, keine großen Worte. Nur der Wunsch, dass morgen keiner stirbt. Dass das Handy noch einmal klingelt. Dass das Herz noch einmal lachen darf.

Spät in der Nacht, als der Schnee dichter fällt und der Himmel sich bleiern senkt, flüstert ein Soldat beim Feuer:

„Wenn wir es schaffen, dieses eine Licht zu bewahren – in uns, in den Kindern, in den alten Frauen – dann hat Weihnachten überlebt. Und wir auch.“

Ich halte inne. Nicht als Reporter. Als Mensch.

Denn auch hier, an der Front, zwischen Granattrichtern und Schützengräben, lebt etwas weiter, das größer ist als jeder Krieg:
Die Hoffnung, dass eines Tages die Waffen schweigen.
Dass Kinder wieder Lieder singen, statt zu flüstern.
Dass Weihnachten nicht überlebt – sondern zurückkehrt.

Ende des Berichts.
Donezk, Ukraine. Weihnachten 2025.

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