Die Covid-Impfstoffe wurden als wissenschaftlicher Durchbruch gefeiert und haben Millionen von Leben gerettet. Dennoch ist das Vertrauen in Impfungen weltweit gesunken. Warum haben immer mehr Menschen Zweifel? Und wie kann das Vertrauen wiederhergestellt werden? Ein Gespräch mit einem Experten für öffentliche Gesundheit.
Frage: Impfungen galten lange als eine der größten Errungenschaften der Medizin. Warum nimmt das Misstrauen gegenüber Impfstoffen in den letzten Jahren so stark zu?
Antwort: Das ist tatsächlich eines der großen Paradoxa der Pandemie. Die rasche Entwicklung der Covid-Impfstoffe war eine enorme wissenschaftliche Leistung, aber sie hat nicht nur Begeisterung ausgelöst, sondern auch Unsicherheit verstärkt. Vor der Pandemie hielten in Großbritannien noch 90 % der Erwachsenen Impfungen für sicher und wirksam. Heute sind es nur noch 70 %. Ein weltweiter Trend: In 52 von 55 untersuchten Ländern ist das Vertrauen in Impfungen seit 2019 gesunken.
Frage: Woran liegt das?
Antwort: Es gibt mehrere Gründe. Zum einen hat sich die öffentliche Wahrnehmung durch die Pandemie verändert. Anfangs gab es eine große Solidarität – Menschen standen stundenlang an, um sich impfen zu lassen. Doch im Laufe der Zeit wurden Fragen laut: Wie sicher sind die Impfstoffe? Wurden sie zu schnell entwickelt? Wie lange wirkt der Schutz? Als sich herausstellte, dass die Immunität gegen Infektionen nach einigen Monaten nachlässt, hat das viele verunsichert.
Gleichzeitig gibt es die allgemeine „Impfmüdigkeit“. Nach Jahren mit wiederholten Impfungen, Booster-Dosen und Vorschriften sind viele Menschen einfach erschöpft. Das betrifft sogar medizinisches Personal: Die Impfquote gegen Grippe unter Ärzten und Pflegekräften ist von 62 % im Jahr 2019 auf 35 % im Jahr 2024 gesunken.
Frage: Welche Rolle spielt das Internet bei der Verbreitung von Impf-Skepsis?
Antwort: Eine enorme. Früher waren Fehlinformationen über Impfstoffe oft lokal begrenzt, heute verbreiten sie sich weltweit innerhalb von Sekunden. Studien zeigen, dass 20 % der Eltern im Jahr 2023 auf Online-Informationen gestoßen sind, die sie an Impfungen zweifeln ließen – ein dramatischer Anstieg gegenüber nur 6 % im Jahr zuvor. Besonders junge Menschen informieren sich über soziale Medien und sind anfälliger für Desinformation.
Frage: Aber Fehlinformationen über Impfungen sind doch kein neues Phänomen, oder?
Antwort: Nein, keineswegs. Schon im 19. Jahrhundert gab es Proteste gegen die Pockenimpfung. In den 1970er-Jahren gab es unbegründete Ängste vor der Diphtherie-, Tetanus- und Keuchhusten-Impfung. Ein besonders schädliches Beispiel war die inzwischen widerlegte Studie aus den 1990er-Jahren, die behauptete, die MMR-Impfung (Masern, Mumps, Röteln) könne Autismus verursachen. Obwohl diese Behauptung längst widerlegt ist, hält sich der Mythos bis heute.
Frage: Gibt es konkrete Sicherheitsbedenken, die das Vertrauen beeinflusst haben?
Antwort: Ja, einige. Jeder medizinische Eingriff birgt ein gewisses Risiko, und Impfstoffe sind da keine Ausnahme. Die AstraZeneca- und Johnson & Johnson-Impfstoffe wurden mit sehr seltenen Blutgerinnseln in Verbindung gebracht, während die mRNA-Impfstoffe von Pfizer und Moderna in seltenen Fällen eine Herzmuskelentzündung auslösen können.
Obwohl diese Nebenwirkungen extrem selten sind und die Impfstoffe insgesamt als sicher gelten, haben Berichte darüber das Vertrauen beeinträchtigt. Besonders problematisch ist, dass viele Menschen die Risiken von Impfungen überschätzen, während sie die Gefahren der Krankheiten, gegen die geimpft wird, unterschätzen.
Frage: Könnte es sein, dass auch politische Entscheidungen das Misstrauen verstärkt haben?
Antwort: Absolut. Während der Pandemie wurden viele Menschen mit Impfpflichten und Zugangsbeschränkungen konfrontiert – sei es für Reisen, Veranstaltungen oder den Arbeitsplatz. Solche Maßnahmen erhöhen kurzfristig die Impfquote, können aber langfristig das Vertrauen untergraben. Wenn Menschen sich zu einer Impfung gezwungen fühlen, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sie sich generell gegen Impfungen wenden.
Frage: Was bedeutet das für die Zukunft?
Antwort: Wir sehen bereits, dass die Impfquote bei Kindern weiter sinkt. Die Zahl der Erstimpfungen gegen Masern ist in Großbritannien auf den niedrigsten Stand seit 14 Jahren gefallen. Gleichzeitig gab es zuletzt größere Masernausbrüche in London, Birmingham und Bristol.
Masern sind extrem ansteckend, und wenn die Impfquote unter eine kritische Schwelle fällt, können sich die Viren wieder ungehindert ausbreiten. Das Problem ist: Viele Menschen haben keine direkte Erfahrung mehr mit schweren Infektionskrankheiten wie Masern oder Diphtherie. Dadurch unterschätzen sie das Risiko.
Frage: Was kann getan werden, um das Vertrauen in Impfstoffe wiederherzustellen?
Antwort: Es gibt mehrere Ansätze. Einer ist die bessere Aufklärung über die Risiken von Infektionskrankheiten. Kampagnen gegen das Rauchen waren deshalb so erfolgreich, weil sie die Gefahren sehr direkt kommuniziert haben. Ähnlich müsste man bei Impfungen vorgehen und deutlicher machen, welche Folgen Krankheiten wie Masern oder Keuchhusten haben können.
Ein weiteres Konzept ist „Prebunking“ – also Menschen schon im Voraus auf mögliche Fehlinformationen aufmerksam zu machen, bevor sie damit konfrontiert werden. Untersuchungen zeigen, dass dies effektiver ist als nachträgliches „Faktenchecken“.
Frage: Sollte die Impfaufklärung in Schulen eine größere Rolle spielen?
Antwort: Unbedingt. Besonders junge Menschen haben in den letzten Jahren ihr Vertrauen in Impfstoffe verloren. Dabei handelt es sich um die nächste Generation von Eltern. Wenn sie Impfungen skeptisch gegenüberstehen, wird das langfristige Folgen haben.
Deshalb sollte die Impfaufklärung fester Bestandteil des Schulunterrichts sein – besonders im naturwissenschaftlichen Bereich. Es geht nicht nur darum, Desinformation zu widerlegen, sondern ein grundlegendes Verständnis für die Funktionsweise und den Nutzen von Impfungen zu schaffen.
Frage: Glauben Sie, dass das Vertrauen in Impfstoffe wieder steigen wird?
Antwort: Es wird nicht automatisch zurückkehren. Wir können nicht einfach abwarten und hoffen, dass sich die Situation von selbst verbessert. Es braucht gezielte Anstrengungen in Bildung, Kommunikation und öffentlicher Aufklärung, um das Vertrauen in Impfstoffe wiederherzustellen.
Andernfalls laufen wir Gefahr, dass vermeidbare Krankheiten zurückkehren und zu unnötigem Leid führen. Impfstoffe gehören zu den größten Errungenschaften der Medizin – es liegt an uns, dieses Vertrauen nicht zu verlieren.
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