Die sogenannte 60/40-Regel gilt seit Jahrzehnten als Grundprinzip der Geldanlage. Sie besagt, dass Anleger rund 60 Prozent ihres Vermögens in Aktien und 40 Prozent in Anleihen investieren sollten. Aktien sorgen für Wachstum, bringen aber Schwankungen mit sich, während Anleihen stabiler sind, jedoch geringere Renditen liefern. Das Ziel ist ein ausgewogenes Verhältnis von Risiko und Ertrag.
Der Vermögensverwalter Vanguard schlägt nun für vorsichtige Anleger eine Umkehr dieses Modells vor: ein 40/60-Portfolio mit nur 40 Prozent Aktienanteil und 60 Prozent Anleihen.
Grund für diesen Vorschlag ist vor allem die starke Überbewertung des US-Aktienmarktes. In den vergangenen zehn Jahren ist der S&P‑500‑Index um mehr als 200 Prozent gestiegen, was außergewöhnlich hohe Durchschnittsrenditen widerspiegelt. Gleichzeitig blieben Anleihen deutlich hinter diesen Erträgen zurück. Der breite US-Anleiheindex von Vanguard erzielte in den vergangenen fünf Jahren sogar eine leicht negative Rendite.
Trotzdem sieht Vanguard aktuell mehr Chancen bei Anleihen als bei Aktien. Ein wichtiger Indikator hierfür ist das sogenannte zyklisch bereinigte Kurs-Gewinn-Verhältnis (CAPE). Dieser Bewertungsmaßstab zeigt, ob Aktien historisch betrachtet über- oder unterbewertet sind. Mit einem Wert von über 40 liegt das CAPE des S&P 500 derzeit auf einem Niveau, das zuletzt während der Dotcom-Blase um die Jahrtausendwende erreicht wurde.
Nach Einschätzung von Vanguard sprechen nahezu alle Bewertungskennzahlen dafür, dass US-Aktien aktuell zu teuer sind. Zudem wird zunehmend über eine mögliche KI-Blase diskutiert, bei der besonders große Technologiewerte stark überhitzt sein könnten. Historisch gesehen enden Phasen außergewöhnlich starker Aktienrenditen meist irgendwann.
Vor diesem Hintergrund prognostiziert Vanguard für die kommenden zehn Jahre vergleichsweise niedrige Aktienrenditen. Für US-Wachstumsaktien werden jährliche Erträge von lediglich 2,3 bis 4,3 Prozent erwartet, für den Gesamtmarkt etwa 3,5 bis 5,5 Prozent. Anleihen könnten hingegen ähnliche oder sogar leicht höhere Renditen erzielen – bei deutlich geringeren Schwankungen.
Vanguard argumentiert daher, dass ein 40/60-Portfolio in den nächsten fünf bis zehn Jahren eine ähnliche Gesamtrendite wie ein klassisches 60/40-Portfolio erreichen könnte, allerdings mit deutlich geringerem Risiko.
Ein solches Portfolio würde sich überwiegend aus US- und internationalen Anleihen zusammensetzen und nur einen kleineren Anteil in Aktien halten. Innerhalb des Aktienanteils setzt Vanguard stärker auf Value-Aktien, kleinere Unternehmen und ausländische Märkte, da diese Segmente als günstiger bewertet gelten und bessere Zukunftsaussichten bieten.
Kritiker wenden ein, dass langfristiger Vermögenszuwachs vor allem aus Aktien entstehe und ein zu hoher Anleihenanteil Chancen verschenke. Vanguard betont jedoch, dass das 40/60-Modell keine starre Vorgabe sei, sondern als Orientierung dienen solle. Auch aggressivere Anleger könnten ihre Aktienquote moderat senken, um Risiken zu reduzieren.
Fazit: Die klassische 60/40-Regel ist nach Ansicht von Vanguard nicht tot, sollte aber angesichts hoher Aktienbewertungen neu gedacht werden. Für Anleger mit mittelfristigem Anlagehorizont könnte eine stärkere Gewichtung von Anleihen in den kommenden Jahren Stabilität bringen – bei überschaubarem Renditeverzicht.
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