US-Präsident Donald Trump glaubt, dass Wladimir Putin Frieden will. Die Ukraine und ihre europäischen Verbündeten hingegen sind überzeugt, dass das Gegenteil der Fall ist. Auch Putin selbst hat mehrfach behauptet, Frieden zu wollen – doch als sich die Gelegenheit bot, ihn zu unterzeichnen, lehnte er ab.
Putins tatsächliche Ziele gehen weit über den Krieg in der Ukraine hinaus. Der russische Präsident hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass er die Existenz der Ukraine als unabhängigen Staat nicht anerkennt. Er hat außerdem wiederholt gefordert, dass die NATO auf ihre Größe zur Zeit des Kalten Krieges schrumpfen soll.
Doch mehr als alles andere strebt er eine neue Weltordnung an – eine, in der Russland eine führende Rolle spielt.
Russlands Demütigung – und Putins Revanche
Putin und viele seiner engsten Vertrauten stammen aus den Reihen des KGB, dem sowjetischen Geheimdienst. Für sie war der Zusammenbruch der Sowjetunion 1991 nicht nur ein geopolitisches Desaster, sondern eine persönliche Niederlage.
In den 1990er-Jahren, als Putin sich in den Machtapparat hocharbeitete, lag Russlands Wirtschaft am Boden. Die einstige Supermacht musste vom Internationalen Währungsfonds und der Weltbank gerettet werden – ein weiterer Schlag für das nationale Selbstbewusstsein.
Ab dem Jahr 2000, mit Putins Aufstieg zum Präsidenten, sorgten steigende Ölpreise für wirtschaftlichen Aufschwung. Russland wurde wohlhabender, seine Stimme wurde auf der internationalen Bühne gehört. Der Kreml wurde in die G7 aufgenommen, die daraufhin zur G8 erweitert wurde.
Doch für Putin war das nicht genug. „Russland war nie zufrieden damit, nur der Achte in der G7 zu sein“, sagt Kristine Berzina vom German Marshall Fund. „Das entspricht nicht dem russischen Selbstverständnis als größte Nation der Welt mit den reichsten Bodenschätzen.“
Putin war bereit, all diese Errungenschaften zu opfern, um größere geopolitische Ziele zu verfolgen – selbst wenn dies bedeutete, aus der G8 ausgeschlossen und mit westlichen Sanktionen belegt zu werden.
Die Gespräche mit den USA – eine Chance für Putin
Die aktuellen Gespräche zwischen Russland und den USA finden nicht statt, weil Putin seine Haltung geändert hätte, sondern weil die US-Politik unter Trump eine Kehrtwende gemacht hat. Trump will den Ukraine-Krieg so schnell wie möglich beenden – selbst wenn das bedeutet, dass die Ukraine weitere Gebietsverluste hinnehmen muss.
Putin hat wenig zu verlieren, wenn er verhandelt. Auch wenn Trump behauptet, „Russland hält alle Karten“ in diesem Krieg, ist die Frontlinie seit zwei Jahren weitgehend festgefahren. Russland macht zwar kleine Fortschritte, aber von einem Sieg kann keine Rede sein – zumindest solange die USA weiterhin Waffen und Geheimdienstinformationen an die Ukraine liefern.
Doch das könnte sich ändern. Sollte Trump die Unterstützung für Kiew beenden, könnte das für Putin die entscheidende Wende bedeuten.
„Putin ging davon aus, dass der Krieg schnell zu gewinnen sei. Drei Jahre später kontrolliert er 20 % der Ukraine – aber zu einem hohen Preis“, sagt der Russland-Experte Mark Galeotti. „Die Wahrheit ist: Russland verliert. Aber die Ukraine verliert noch schneller.“
Für Putin ist Trumps Vorstoß für eine Waffenruhe eine Möglichkeit, sich kurzfristige Gewinne zu sichern und dabei seine langfristigen Ziele nicht aus den Augen zu verlieren.
„Putin ist ein Opportunist. Er liebt es, Chaos zu erzeugen und dann die besten Gelegenheiten auszuwählen“, so Galeotti.
Putins langfristige Ziele: Mehr als nur die Ukraine
Der Kreml hat deutlich gemacht, dass er seine ursprünglichen Ziele nicht aufgegeben hat. Selbst wenn russische Offizielle über Frieden sprechen, betonen sie zugleich, dass die „wahren Ursachen“ des Konflikts beseitigt werden müssten.
In den Augen Moskaus sind diese „Ursachen“:
- Die Souveränität der Ukraine und ihr demokratisch gewählter Präsident Wolodymyr Selenskyj
- Die Osterweiterung der NATO in den letzten 30 Jahren
Putin begann seine Invasion mit dem Ziel, die ukrainische Regierung zu stürzen und Kiew unter Moskaus Kontrolle zu bringen. Damit wollte er verhindern, dass die Ukraine jemals der NATO oder der EU beitritt.
Militärisch konnte er dieses Ziel nicht erreichen – doch das bedeutet nicht, dass er es aufgegeben hat.
„Der einfachste Weg für Russland, seine Interessen in einem fremden Land durchzusetzen, ist nicht durch Krieg, sondern durch politische Einflussnahme und Manipulation von Wahlen“, erklärt Berzina.
Russland versucht daher, die Legitimität Selenskyjs in Frage zu stellen und auf Neuwahlen zu drängen. Dass Trump Selenskyj als „Diktator ohne Wahlen“ bezeichnet hat, spielt Putin in die Hände. In Wahrheit ist es jedoch das von Russland verursachte Kriegsrecht, das Neuwahlen in der Ukraine derzeit unmöglich macht.
Putin will zudem eine Garantie der USA, dass die Ukraine niemals der NATO beitritt. Trump und sein Vizepräsident JD Vance haben bereits signalisiert, dass sie einen ukrainischen NATO-Beitritt für die nächste Zeit ausschließen.
Doch Europas Verbündete trauen Putins Friedensversprechen nicht. „Egal, was Trump und Putin diese Woche oder dieses Jahr ausmachen – viele Europäer halten Putin für grundsätzlich unzuverlässig“, sagt Berzina.
Putins Weltordnung: Russland als Gegengewicht zum Westen
Für den Kreml ist der Krieg in der Ukraine nicht nur ein regionaler Konflikt, sondern Teil eines viel größeren Plans: Es ist ein Krieg gegen den Westen.
„Die russische Führung glaubt nicht, dass sie mit den USA einen dauerhaften Deal aushandeln kann“, sagt der investigative Journalist Andrei Soldatow. „Sie wollen eine völlige Neugestaltung der Sicherheitsordnung in Europa.“
Für Putin und seine KGB-Generation ist das ein persönlicher Kampf. Viele der heutigen russischen Eliten waren in den 1980er-Jahren junge Offiziere. Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion verloren sie ihre Macht, ihren Status und – in ihrer Wahrnehmung – ihr Land.
„Sie sind überzeugt, dass der Westen Russland seit Jahrhunderten zerstören und unterwerfen will. Das ist nicht nur Propaganda – sie glauben wirklich daran“, so Soldatow.
Putins Geschichtsverständnis spielt dabei eine zentrale Rolle. Immer wieder behauptet er, die Ukraine sei kein eigenständiges Land, sondern Teil eines „historischen Russlands“.
Historiker widersprechen dieser Darstellung. „Russland, die Ukraine und Belarus haben zwar gemeinsame Ursprünge in der mittelalterlichen Kiewer Rus, aber das ist nicht dasselbe wie ein moderner Nationalstaat“, sagt Monica White, Professorin für Slawistik an der Universität Nottingham.
Putin nutzt auch die russisch-orthodoxe Kirche zur ideologischen Rechtfertigung seines Krieges. Patriarch Kirill, Oberhaupt der Kirche, ist einer der lautesten Befürworter der Invasion.
Letztlich geht es Putin um weit mehr als die Ukraine.
„Russland will an allen wichtigen Entscheidungen der Welt beteiligt sein“, sagt White. „Das bedeutet vielleicht nicht unbedingt weitere territoriale Eroberungen, aber Russland will eine führende Rolle in einem neuen Machtblock – möglicherweise mit China, Iran und anderen Verbündeten –, der sich klar gegen den Westen positioniert.“
Putin ist überzeugt, dass Russland, das größte Land der Welt, eine zentrale Rolle in der Weltpolitik spielen muss. Und mit Donald Trump im Weißen Haus könnte er auf einen Gleichgesinnten treffen.
Trump hat mehrfach klargemacht, dass er der Meinung ist, große und mächtige Länder sollten bekommen, was sie wollen – egal ob es um die Krim, den Panamakanal oder Grönland geht.
„Für Trump ist die Ukraine ein Vasallenstaat, der sich der amerikanischen Entscheidung beugen muss“, sagt Galeotti. „Seine Vorstellung ist: Die USA machen einen Deal mit Russland – und die Ukraine muss ihn akzeptieren.“
Doch in Europa wächst die Erkenntnis: Selbst wenn Putin kurzfristige Zugeständnisse macht – seine Vision für die Welt bleibt unverändert. Und in dieser Welt gibt es für eine souveräne Ukraine keinen Platz.
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