Polen zieht die Konsequenzen aus der geopolitischen Lage in Europa: Angesichts der anhaltenden Spannungen mit Russland startet das Land ein landesweites Programm zur freiwilligen militärischen Grundausbildung für Zivilisten. Unter dem Titel **„W gotowości“ („In Bereitschaft“) ** sollen ab dem 22. November 2025 Bürgerinnen und Bürger aller Altersgruppen in grundlegenden Sicherheits- und Verteidigungsfragen geschult werden.
Das ehrgeizige Ziel: Bis Ende 2026 sollen rund 400.000 Menschen an den Trainings teilnehmen – ein Schritt, der Polens Strategie zur nationalen Selbstverteidigung entscheidend erweitern könnte.
„Wir müssen vorbereitet sein – auf alles“
Verteidigungsminister Władysław Kosiniak-Kamysz begründete das Programm mit deutlichen Worten:
„Wir leben in den gefährlichsten Zeiten seit dem Zweiten Weltkrieg. Hinter unserer Grenze tobt ein Krieg, es gibt Sabotageakte in der Ostsee und Angriffe im Cyberspace. Wir müssen vorbereitet sein – auf alles.“
Damit reagiert Polen auf die wachsenden Spannungen mit Russland und die ständige Bedrohung, die das Land aufgrund seiner geographischen Nähe zur Ukraine empfindet. Der russische Angriffskrieg und zahlreiche mutmaßliche Spionage- und Sabotageaktionen in Europa hätten gezeigt, dass Sicherheitsbewusstsein und Zivilverteidigung wieder zu zentralen Elementen staatlicher Vorsorge werden müssten.
Breite Beteiligung: Von Schülern bis Senioren
Besonders bemerkenswert ist der inklusive Ansatz: Die Schulungen stehen allen Bürgern offen – ob Schüler, Arbeitnehmer oder Rentner. Ziel ist, die gesamte Gesellschaft einzubinden und ein Grundverständnis für Verteidigung, Krisenvorsorge und digitale Sicherheit zu schaffen.
Das Programm besteht aus vier Modulen:
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Grundlagen der nationalen Sicherheit – Verständnis für militärische und zivile Strukturen im Krisenfall
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Überlebenstraining – Verhalten bei Stromausfällen, Angriffen oder Evakuierungen
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Erste Hilfe – lebensrettende Maßnahmen und Katastrophenmedizin
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Cybersicherheit – Schutz vor Desinformation, Cyberangriffen und digitaler Spionage
Die Trainings sollen an Wochenenden stattfinden, jedes Modul dauert einen Tag. Die Teilnahme ist freiwillig und kostenlos, die Ausbildung wird von der Armee und zivilen Fachkräften geleitet.
Kein Wehrdienst – aber ein Signal der Wehrhaftigkeit
Das Verteidigungsministerium betont, dass die Initiative nicht mit einer Wiedereinführung der Wehrpflicht gleichzusetzen ist. Es gehe vielmehr darum, die Bevölkerung zu sensibilisieren und Fähigkeiten zu vermitteln, die im Krisenfall überlebenswichtig sein könnten.
Trotzdem ist die politische Signalwirkung unübersehbar: Polen will sich nicht nur militärisch, sondern auch gesellschaftlich rüsten. Die Regierung verfolgt das Ziel, eine „wehrhafte Gesellschaft“ zu schaffen, in der die Bürger selbst Verantwortung für die Landesverteidigung übernehmen.
Ein Regierungsberater formulierte es so:
„Die Zeiten, in denen Verteidigung allein Sache der Armee war, sind vorbei. Heute müssen ganze Nationen widerstandsfähig sein – mental, digital und praktisch.“
Polen als militärischer Vorreiter in der EU
Schon jetzt gilt Polen als das am stärksten aufgerüstete Land Europas. In den vergangenen Jahren hat Warschau massiv in seine Streitkräfte investiert – in Panzer, Artillerie, Flugabwehrsysteme und Drohnen. Allein im Jahr 2024 bestellte Polen bei Südkorea hunderte Kampfpanzer vom Typ K2 und Haubitzen vom Typ K9, zusätzlich zu amerikanischen Abrams-Panzern und HIMARS-Raketenwerfern.
Aktuell zählt das polnische Militär rund 210.000 Soldaten, darunter 37.000 Freiwillige im Territorialverteidigungsdienst (WOT). Ziel der Regierung ist eine Truppenstärke von 300.000 – mehr als doppelt so viel wie die Bundeswehr derzeit umfasst.
Mit dem neuen Zivilprogramm will Polen diese militärische Stärke gesellschaftlich absichern. Das Konzept erinnert an Modelle aus Finnland oder Israel, wo Zivilverteidigung Teil des nationalen Selbstverständnisses ist.
Zwischen Abschreckung und Angst
Kritiker warnen allerdings, das Programm könne auch Ängste schüren und die Bevölkerung mental auf einen drohenden Krieg vorbereiten, anstatt auf Diplomatie zu setzen. Menschenrechtsorganisationen mahnen, Kinder und Jugendliche dürften nicht zu früh militarisiert werden.
Die Regierung in Warschau hält dagegen: Es gehe nicht um Militarisierung, sondern um Selbstschutz und Resilienz. Kosiniak-Kamysz betonte:
„Ein vorbereitetes Volk ist ein sicheres Volk. Wir wollen keine Angst erzeugen – wir wollen Stärke vermitteln.“
Europas Blick nach Osten
Während viele EU-Staaten noch über Aufrüstung, Wehrpflicht und Krisenreserven debattieren, hat Polen längst gehandelt. Mit „In Bereitschaft“ will das Land zum Vorbild für eine neue Art europäischer Sicherheitskultur werden – eine, die den Bürger in den Mittelpunkt stellt.
Die Botschaft aus Warschau ist klar: Polen will nicht Opfer sein – sondern vorbereitet.
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