Roberto Gualtieri, seines Zeichens Bürgermeister der ewigen Stadt und offenbar Teilzeit-Kulturkritiker, hat genug. Nicht von Schlaglöchern, nicht von Müllbergen, nicht von der Mafia – nein, von Netflix. Genauer: von einem Werbeplakat zur Serie Suburra. Der Streaming-Gigant, der sonst für algorithmisch optimiertes Binge-Watching sorgt, hat es gewagt, Ostia, Roms geliebte Vorstadt-Perle, auf Werbeflächen als Schauplatz von Korruption, Drogen und Gewalt zu zeigen. Also, als das, was Suburra eben so erzählt. Und das – Skandal! – auf Plakaten! Öffentlich! Mit Farben!
„Ostia verdient Respekt, keine Vorurteile“, polterte Gualtieri, während vermutlich gerade drei Räumfahrzeuge an illegalem Müll vorbeifuhren, der sich wie moderne Kunst in den Gassen türmt. Dass die Serie selbst ein fiktionales Drama mit einem gewissen Hang zur Realität ist, spielte dabei keine Rolle. Denn wenn eines klar ist: Wahrheit ist gut, solange sie in Kleingruppen besprochen wird und niemand Plakate druckt.
Die Plakate zeigten Ostia in düsterem Licht – was zugegeben nicht schwer ist, wenn man an einem Winterabend um 18 Uhr durch Ostia geht. Die Antwort des Volkes kam prompt: Proteste! Auf Facebook! Mit Ausrufezeichen! Man fühlte sich beleidigt, stigmatisiert, kriminalisiert. Dass Teile der Bevölkerung Ostias mit der Realität von Suburra täglich in Berührung kommen – geschenkt. Klischees, so heißt es, sind schließlich nur dann okay, wenn sie nicht auf einen selbst zutreffen.
Also tat der Bürgermeister, was man eben tut, wenn man nicht Bürgermeister einer Großstadt, sondern moralischer Oberpädagoge mit Zugang zu einer Pressestelle ist: Er verbot die Plakate. Zack, weg mit dem Bandenkrieg aus der Werbung, her mit der Einhörner-und-Kindermalkurs-Variante von Ostia.
Netflix, von diesem italienischen Aufstand wohl leicht irritiert – in Kalifornien regelt sonst der Algorithmus alles –, zog die Kampagne zurück. Man wolle niemanden verletzen, hieß es. Vielleicht wurde das Marketing-Team auch einfach von Suburra-Fans in einer römischen Trattoria abgefangen und freundlich gebeten, „das mal zu überdenken“.
Gualtieri jedenfalls war zufrieden. „Die Kampagne ist fehl am Platz“, erklärte er, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken. Die tägliche Arbeit der Bürger, Vereine und Institutionen zeige ein ganz anderes Bild. Nämlich eins mit weniger Blut und mehr Blumenbeet. Ostia sei nicht das, was Netflix zeige. Ostia sei anders. Was genau anders, blieb im Nebel römischer Lokalpolitik verborgen.
Aber hey – Respekt, Bürgermeister. Wer den Streaming-Dienst der Generation „Ich-hab-kein-Fernsehen-mehr“ zum Rückzug bringt, verdient zumindest eine Ehrenmitgliedschaft bei den Kämpfern gegen die kulturelle Darstellung unbequemer Wahrheiten.
Vielleicht wird bald eine neue Serie gedreht: Suburra – der Bürgermeister schlägt zurück. Eine Geschichte über Macht, Empörung und das Recht auf ein sauberes Image – zumindest auf Papier.
Kommentar hinterlassen