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Millionenklagen auf dem Prüfstand: BGH entscheidet über Zukunft des Sammelklage-Inkassos

qimono (CC0), Pixabay
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Der Bundesgerichtshof steht vor einer Entscheidung von erheblicher Tragweite für den kollektiven Rechtsschutz in Deutschland. Am 16. Dezember 2025 verhandelt der Kartellsenat in Karlsruhe über die Frage, ob kartellbedingte Schadensersatzansprüche im Wege des sogenannten Sammelklage-Inkassos gebündelt geltend gemacht werden dürfen. Im Mittelpunkt steht das milliardenschwere LKW-Kartell – und die grundsätzliche Auslegung des Rechtsdienstleistungsgesetzes.

Hintergrund: Europas größtes LKW-Kartell

Ausgangspunkt des Verfahrens ist eines der größten Kartellverfahren, das die Europäische Kommission je geführt hat. Im Jahr 2016 stellte sie fest, dass führende Hersteller von mittelschweren und schweren Lastkraftwagen über Jahre hinweg illegale Absprachen getroffen hatten. Diese betrafen nicht nur Preise und Bruttolistenpreiserhöhungen, sondern auch den Zeitplan und die Weitergabe von Kosten für neue Abgastechnologien nach den Normen EURO 3 bis EURO 6.

Die Kartellverstöße erstreckten sich über den gesamten Europäischen Wirtschaftsraum und dauerten von 1997 bis 2011. Die EU-Kommission verhängte Bußgelder von rund 2,93 Milliarden Euro. Weitere beteiligte Hersteller wurden 2017 ebenfalls rechtskräftig sanktioniert.

Die Klage: Ansprüche im industriellen Maßstab

Vor diesem Hintergrund erhebt ein auf die IT-gestützte Durchsetzung von Massenschäden spezialisiertes Rechtsdienstleistungsunternehmen Klage. Es ließ sich von mehr als 3.000 Unternehmen aus 21 Ländern mögliche Schadensersatzansprüche abtreten, um diese gebündelt geltend zu machen. Streitgegenständlich sind über 70.000 einzelne LKW-Erwerbsvorgänge mit einem geschätzten Gesamtvolumen von rund 500 Millionen Euro, teilweise in Fremdwährungen.

Finanziert wird das Verfahren durch einen Prozessfinanzierer. Dieses Modell soll geschädigten Unternehmen den Zugang zu Schadensersatz erleichtern, ist rechtlich jedoch umstritten – insbesondere im Hinblick auf die Grenzen zulässiger Inkassodienstleistungen.

Streitpunkt: Wer darf solche Klagen führen?

Nicht mehr das Kartell selbst steht im Fokus des Rechtsstreits, sondern die Frage, wer berechtigt ist, solche umfangreichen Ansprüche gerichtlich durchzusetzen.

Das Landgericht hatte die Klage zunächst weitgehend abgewiesen. Es hielt die Abtretungen der Ansprüche für nichtig, da sie gegen das Rechtsdienstleistungsgesetz (RDG) verstießen. Die Klägerin sei zwar für Inkassodienstleistungen registriert, nicht aber für umfassende rechtliche Dienstleistungen, insbesondere mit Auslandsbezug und komplexen kartellrechtlichen Fragestellungen.

Das Oberlandesgericht München widersprach dieser Auffassung. Es hob das Urteil auf und verwies den Fall zur erneuten Verhandlung zurück. Nach Ansicht des OLG liegt kein Verstoß gegen das RDG vor. Das Sammelklage-Inkasso sei von der Inkassoerlaubnis gedeckt, selbst wenn im Rahmen der Forderungseinziehung anspruchsvolle rechtliche Prüfungen notwendig seien.

Gegen diese Entscheidung haben mehrere beklagte LKW-Hersteller Revision eingelegt – nun ist der BGH am Zug.

Warum der Fall grundsätzliche Bedeutung hat

Die Karlsruher Richter müssen klären, ob das Sammelklage-Inkasso ein zulässiges Instrument der Rechtsdurchsetzung ist oder ob hier eine unzulässige Umgehung anwaltlicher Tätigkeit vorliegt. Die Entscheidung dürfte weit über den konkreten Fall hinausreichen:

  • Sie betrifft tausende Unternehmen, die Kartellschäden erlitten haben.

  • Sie entscheidet über die Zukunft von Legal-Tech- und Inkassomodellen in Deutschland.

  • Sie prägt die Frage, ob Massenschäden effektiv und wirtschaftlich durchsetzbar sind.

Eine Bestätigung der OLG-Entscheidung würde den kollektiven Rechtsschutz stärken und gebündelten Klagen neue Möglichkeiten eröffnen. Eine gegenteilige Entscheidung könnte zahlreiche ähnliche Verfahren gefährden und die Durchsetzung von Kartellschäden erheblich erschweren.

Ausblick

Der Verhandlungstermin am 16. Dezember 2025 gilt als einer der wichtigsten kartellrechtlichen Termine des Jahres. Der Bundesgerichtshof entscheidet nicht nur über das LKW-Kartell, sondern über die Weichenstellung für Sammelklagen in Deutschland insgesamt.

Für Geschädigte, für den Rechtsdienstleistungsmarkt und für die Entwicklung des kollektiven Rechtsschutzes steht viel auf dem Spiel.

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