Ein Wort, das Millionen Menschen in Kolumbien seit Jahrzehnten nie gehört haben, hallte nun durch die Hallen des Präsidentenpalastes: Vergebung.
Mit einem feierlichen Staatsakt hat die kolumbianische Regierung die Verantwortung des Staates für eines der dunkelsten Kapitel der jüngeren Landesgeschichte übernommen – die systematische Verfolgung und Ermordung von Mitgliedern der linksgerichteten Partei Unión Patriótica (UP).
Ein Schuldeingeständnis mit schwerem Gewicht
Präsident Gustavo Petro, selbst einst Guerillero und nun Staatsoberhaupt, sprach von einem „politischen Genozid“. Ein hartes Wort, aber eines, das trifft. Denn die UP war in den 1980er Jahren entstanden, um einen demokratischen Weg aus dem Bürgerkrieg zu finden – ein Versuch, die Waffen gegen Wahlurnen zu tauschen.
Doch was folgte, war kein demokratischer Dialog, sondern eine blutige Jagd. Tausende Mitglieder und Anhänger der UP wurden ermordet – Politiker, Gewerkschafter, Aktivisten. Ganze Familien verschwanden. Und das alles, während der Staat zusah – oder mitmachte.
Petros Bitte um Vergebung – und der lange Schatten der Vergangenheit
„Der Staat hat versagt“, sagte Petro, „und er hat seine Bürger ermordet.“ Klare Worte, ungewöhnlich offen für einen Präsidenten eines Landes, das jahrzehntelang versuchte, solche Themen lieber unter den Teppich der Geschichte zu kehren.
Doch Vergebung allein, so betonten Vertreter der UP, reiche nicht aus. Sie fordern staatliche Entschädigungen, den Bau eines Denkmals und umfassende Bildungs- und Erinnerungsinitiativen, damit das kollektive Vergessen nicht wieder zuschlägt.
Denn was nützt eine Entschuldigung, wenn die nächste Generation gar nicht mehr weiß, wofür sie ausgesprochen wurde?
Ein Staat bittet um Vergebung – aber wem gehört die Schuld?
Die symbolische Geste Petros ist historisch – aber sie wirft Fragen auf. Wie viel Verantwortung trägt ein Staat, dessen heutige Regierung mit jenen Tätern nichts mehr gemein hat, die einst mordeten oder wegsahen?
Und wie viel wiegt eine Entschuldigung, wenn viele der Verantwortlichen längst tot oder nie belangt wurden?
Kritiker sehen in der Zeremonie zwar einen wichtigen Schritt der Aufarbeitung, aber auch ein bequemes Ritual: Worte sind billig, besonders, wenn sie Jahrzehnte zu spät kommen.
Ein Land auf der Suche nach seiner Wahrheit
Kolumbien kämpft seit Jahren mit der Aufarbeitung seiner Gewaltgeschichte – von paramilitärischen Verbrechen bis zu staatlichen Übergriffen. Petros Geste könnte ein Wendepunkt sein, wenn sie von Taten begleitet wird: Gerechtigkeit, Aufklärung, Wiedergutmachung.
Doch in einem Land, in dem politische Gewalt lange systematisch war, ist Vergebung nur der Anfang. Und wie jeder Anfang in Kolumbien – gefährlich, unbequem und dringend nötig.
Fazit:
Kolumbien sagt „Entschuldigung“.
Zu spät, zu wenig, aber immerhin laut genug, dass es diesmal niemand überhören kann.
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