Startseite Allgemeines „KI ist kein Allheilmittel – aber wer sie ignoriert, wird abgehängt“ – Ein kritisches Gespräch mit Digitalisierungs- und KI-Experte Tim Schlautmann von Marketport
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„KI ist kein Allheilmittel – aber wer sie ignoriert, wird abgehängt“ – Ein kritisches Gespräch mit Digitalisierungs- und KI-Experte Tim Schlautmann von Marketport

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Moderator: Herr Schlautmann, 228 Milliarden Dollar wollen die US-Techgiganten Meta, Microsoft und Alphabet dieses Jahr in KI-Infrastruktur investieren – das sind 55 Prozent mehr als 2024. Gleichzeitig sorgt ein chinesisches Startup, Deepseek, mit einem Open-Source-Modell für Aufsehen, das angeblich nur einen Bruchteil der Kosten verursacht hat. Ist das eine Blamage für die etablierten Konzerne?

Tim Schlautmann: Blamage ist vielleicht etwas hart, aber es zeigt, dass das Rennen um die Vorherrschaft in der KI-Entwicklung offener ist als viele dachten. Lange galt die Annahme, dass nur Unternehmen mit Milliardenbudgets leistungsfähige Modelle entwickeln können. Deepseek beweist, dass es auch anders geht – mit klügeren Algorithmen statt nur massiver Rechenpower.

Moderator: Hat sich die Branche also verkalkuliert? Sind diese Milliardeninvestitionen überdimensioniert?

Schlautmann: Nicht unbedingt. KI erfordert nicht nur leistungsfähige Modelle, sondern auch die Infrastruktur, um sie überhaupt sinnvoll nutzbar zu machen. Man darf nicht vergessen: KI-Modelle sind extrem energie- und datenintensiv. Sie brauchen spezialisierte Chips, riesige Rechenzentren und leistungsfähige Cloud-Architekturen. Die großen Konzerne investieren nicht nur in die KI selbst, sondern in das gesamte Ökosystem, das sie tragfähig macht.

Allerdings zeigt Deepseek, dass es vielleicht effizientere Wege gibt. Statt einfach nur immer größere Modelle mit mehr Daten zu trainieren, haben sie einen smarteren Algorithmus entwickelt, der auch mit weniger Rechenleistung erstaunliche Ergebnisse erzielt.

Moderator: Klingt, als hätten sich die etablierten Player von der schieren Größe ihrer Projekte blenden lassen?

Schlautmann: Zum Teil ja. Das Silicon Valley neigt dazu, Probleme mit brachialer Rechenpower zu lösen. Frei nach dem Motto: Wenn es mit 100 Milliarden Parametern nicht geht, dann eben mit 500 Milliarden. Deepseek hat einen anderen Weg eingeschlagen – mit optimierten Algorithmen statt nur gigantischer Rechenleistung. Das ist ein Weckruf für die Branche.

Moderator: Ein Weckruf, der auch ein Sicherheitsrisiko sein könnte? Westliche Länder sehen chinesische Technologien oft kritisch, man denke an Huawei. Ist Deepseek vertrauenswürdig?

Schlautmann: Das ist eine berechtigte Frage. China ist nicht gerade für seinen Datenschutz bekannt, und es gibt viele Bedenken, was den Zugriff der Regierung auf Unternehmensdaten angeht. Deepseek hat zwar sein Modell als Open Source veröffentlicht, aber es gibt zwei Aspekte: das Modell selbst und die App, die damit arbeitet. Letztere läuft auf chinesischen Servern und sammelt Nutzerdaten – ähnlich wie es auch US-Konzerne tun.

Allerdings gibt es einen entscheidenden Unterschied: Deepseeks Modell kann auf europäischen Servern betrieben werden. Das heißt, Nutzer können die Technologie nutzen, ohne dass ihre Daten nach China wandern. Das ist bei amerikanischen Modellen wie OpenAI nicht immer so einfach.

Moderator: Also Ironie des Schicksals – China liefert eine Lösung gegen chinesische Überwachung?

Schlautmann: Ja, das ist fast schon paradox. Aber es zeigt auch, dass Open Source ein Weg sein kann, Vertrauen in KI-Systeme zu schaffen. Anstatt ein Blackbox-System zu nutzen, bei dem niemand genau weiß, wie es funktioniert – wie bei OpenAI – kann man bei Deepseek genau nachvollziehen, wie das Modell arbeitet.

Moderator: OpenAI wirft Deepseek jedoch vor, deren Technologie „kopiert“ zu haben. Ist da was dran?

Schlautmann: Das ist schwer zu sagen. Es gibt keine Hinweise auf Industriespionage oder Hacks, aber Deepseek wird beschuldigt, durch sogenannte Destillation trainiert zu haben – also indem ihr Modell Antworten von OpenAI-Modellen genutzt hat. Das ist allerdings ein gängiges Verfahren und nicht illegal. OpenAI hat das Internet mit seinen Outputs geflutet – natürlich werden solche Modelle darauf trainiert.

Moderator: Bedeutet das, dass Deepseek kein innovatives Unternehmen ist, sondern einfach gut darin war, bestehende Technologien zu optimieren?

Schlautmann: Nicht ganz. Sie haben nicht nur Bestehendes nachgebaut, sondern tatsächlich eigene Verbesserungen vorgenommen. Ihre größte Leistung ist die Optimierung der Architektur, sodass ihre KI mit weniger Ressourcen leistungsfähiger ist.

Moderator: Die Euphorie um KI ist riesig, doch gibt es auch kritische Stimmen. Ist KI wirklich die Zukunft oder überschätzen wir ihren Nutzen?

Schlautmann: KI ist definitiv eine der wichtigsten Technologien unserer Zeit, aber sie ist kein Allheilmittel. Wir erleben gerade eine enorme Hype-Phase, in der alles mit KI gelöst werden soll – von wirtschaftlichen Problemen bis hin zur Rettung des Planeten. Doch so einfach ist es nicht.

KI ist extrem ressourcenintensiv. Rechenzentren verbrauchen Unmengen an Strom, und die benötigten Chips sind teuer und knapp. Zudem gibt es ethische Probleme: Wer kontrolliert die Daten? Wie stellen wir sicher, dass KI nicht für Massenüberwachung oder gezielte Manipulationen genutzt wird?

Moderator: Also kein blindes Vertrauen in die Technik?

Schlautmann: Auf keinen Fall. KI kann viele Bereiche revolutionieren – von der Medizin über den Verkehr bis hin zur Bildung. Aber wir müssen aufpassen, dass wir nicht blindlings in eine technologische Abhängigkeit geraten, ohne Regeln und Kontrollmechanismen. Die großen KI-Modelle werden von wenigen Konzernen oder staatlichen Institutionen kontrolliert. Das bedeutet eine enorme Machtkonzentration.

Moderator: Aber ohne KI bleibt man abgehängt?

Schlautmann: Ja, das ist das Dilemma. Wer KI ignoriert, wird im globalen Wettbewerb nicht bestehen können. Aber das bedeutet nicht, dass man jede Technologie unkritisch übernehmen sollte. Es braucht eine klare Strategie, um KI sinnvoll und ethisch vertretbar einzusetzen.

Moderator: Welche Rolle sollte Europa in diesem Wettlauf spielen?

Schlautmann: Europa muss aufpassen, nicht zwischen den USA und China zerrieben zu werden. Bisher hinken wir in der KI-Entwicklung hinterher, weil uns die großen Cloud-Anbieter und Halbleiterhersteller fehlen. Wir brauchen eigene Investitionen in KI, aber mit einem europäischen Ansatz: Datenschutz, Transparenz und nachhaltige Nutzung müssen im Vordergrund stehen.

Moderator: Letzte Frage: Wird KI uns alle ersetzen?

Schlautmann: Nein, aber sie wird unsere Arbeitswelt massiv verändern. Routineaufgaben werden automatisiert, und viele Jobs werden sich wandeln. Der Mensch bleibt aber entscheidend – denn KI kann zwar Daten verarbeiten, aber sie hat keine Kreativität, keine Intuition und kein moralisches Bewusstsein. Wer KI als Werkzeug nutzt, statt sich von ihr ersetzen zu lassen, wird in der Zukunft erfolgreich sein.

Moderator: Herr Schlautmann, vielen Dank für das Gespräch!

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