Interview mit Rechtsanwältin Kerstin Bontschev über die Folgen des Zahlungsausfalls und das richtige Vorgehen
Redaktion: Frau Bontschev, die BaFin hat öffentlich gemacht, dass bei der ProReal Europa 9 GmbH nahezu ein vollständiger Zahlungsausfall vorliegt. Was bedeutet das konkret für betroffene Anleger?
Kerstin Bontschev: Ganz klar: Die Anleger müssen jetzt davon ausgehen, dass sie ihr investiertes Kapital nahezu vollständig verlieren könnten. Laut der BaFin-Mitteilung sind weniger als 5 % des Nominalbetrags rückzahlbar – auch Zinsen werden weder für die Vergangenheit noch für die Zukunft gezahlt. Das ist ein schwerwiegender Einschnitt, insbesondere für Anleger, die diese Produkte als sicheren Baustein ihrer Altersvorsorge gesehen haben.
Redaktion: Was ist überhaupt der rechtliche Hintergrund dieser BaFin-Veröffentlichung?
Bontschev: Die BaFin ist nach § 11a Absatz 1 Vermögensanlagengesetz verpflichtet, solche Zahlungsausfälle öffentlich zu machen, sobald ein Anbieter nicht mehr in der Lage ist, mindestens 95 % der Rückzahlungen zu leisten. Es handelt sich um eine Warnmeldung, die rein informierenden Charakter hat, also keine inhaltliche Prüfung oder Bewertung durch die BaFin beinhaltet.
Redaktion: Welche rechtlichen Schritte können Anleger jetzt konkret unternehmen?
Bontschev: Zunächst sollten sie ihre Unterlagen prüfen: Zeichnungsschein, Prospekt, Beratungsprotokolle – alles, was im Zusammenhang mit der Anlage steht. Dann sollten sie prüfen (lassen), ob eine fehlerhafte Beratung vorlag, insbesondere ob über Risiken, Illiquidität oder das Totalverlustrisiko korrekt aufgeklärt wurde. Wurde falsch beraten, bestehen Schadenersatzansprüche – allerdings unterliegen diese oft engen Verjährungsfristen.
Redaktion: Können Anleger auch gegen die Emittentin selbst vorgehen?
Bontschev: Das ist schwierig. In der Regel sind diese Gesellschaften bei Eintritt der Krise nicht mehr zahlungsfähig oder insolvenzgefährdet, sodass selbst ein erfolgreicher Titel wertlos sein kann. Wichtiger ist die Frage: Wer hat vermittelt? Wer hat beraten? Hier liegt oft die beste Chance auf Rückerstattung – etwa durch eine Klage gegen den Finanzvermittler oder eine Beschwerde bei der zuständigen Aufsichtsbehörde.
Redaktion: Was unterscheidet die Fälle ProReal Europa 9 und 10?
Bontschev: Beide Produkte stammen aus dem gleichen Emissionsumfeld und sind wirtschaftlich eng verwandt. Auch für die ProReal Europa 10 GmbH wird inzwischen von Zahlungsausfall gesprochen – der Fall entwickelt sich ähnlich wie bei der „9“. Anleger sollten daher beide Anlagen gemeinsam prüfen lassen, vor allem wenn sie mehrfach investiert haben.
Redaktion: Wie sollten Betroffene jetzt konkret vorgehen?
Bontschev: Ich empfehle:
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Unterlagen sichern und ordnen
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Verjährung prüfen lassen – häufig beginnt diese drei Jahre nach Kenntnis des Beratungsfehlers
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Rechtlich prüfen, ob Vermittler oder Berater haften könnten
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Sich nicht auf weitere „Rettungsversprechen“ einlassen, etwa durch dubiose Rückkaufangebote oder Schadensregulierer
Redaktion: Gibt es Sammelklagen oder Anlegergemeinschaften?
Bontschev: In Deutschland gibt es keine echte „Sammelklage“ wie in den USA, aber Anlegergemeinschaften oder Bündelverfahren über spezialisierte Kanzleien. Ich empfehle, sich gut zu informieren und seriöse Kanzleien auszuwählen – keine, die Erfolg versprechen, bevor sie den Einzelfall geprüft haben.
Redaktion: Ihr Fazit?
Bontschev: Anleger sollten jetzt nicht zögern. Es handelt sich um einen fast vollständigen Zahlungsausfall, und jede Frist zählt. Wer unsicher ist, sollte sich juristisch beraten lassen, um Chancen nicht zu verspielen. Schweigen und Hoffen hilft in dieser Lage leider nicht weiter.
Kurzinfo zur Expertin:
Rechtsanwältin Kerstin Bontschev ist spezialisiert auf Kapitalanlagerecht und vertritt seit über 15 Jahren geschädigte Privatanleger in Fällen von Prospektfehlern, Falschberatung und Anlegerschutzverfahren.
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