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Interview mit Thomas Bremer: „Social Media ist kein Börsenparkett – und kein Ersatz für seriöse Beratung“

WOKANDAPIX (CC0), Pixabay
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Redaktion: Herr Bremer, immer mehr Menschen treffen ihre Anlageentscheidungen auf Basis von Informationen aus sozialen Medien. Ist das ein Fortschritt – oder ein Risiko?

Thomas Bremer: Beides. Soziale Medien können ein guter Einstieg sein, um sich mit Finanzthemen zu beschäftigen. Das ist grundsätzlich zu begrüßen. Aber: Sie ersetzen keine professionelle Beratung, keine eigene Recherche und vor allem keine kritische Distanz. Denn was dort oft vermittelt wird, ist nicht selten entweder gefährlich vereinfacht, einseitig oder schlichtweg manipulativ. Besonders problematisch wird es, wenn Tipps nicht aus Überzeugung, sondern gegen Bezahlung gegeben werden – was für den Nutzer meist nicht transparent ist.

Redaktion: Viele dieser Tipps kommen von sogenannten FinFluencern. Was ist davon zu halten?

Thomas Bremer: Der Begriff „FinFluencer“ klingt erstmal modern – aber er ist kein Qualitätsmerkmal. Manche von ihnen machen einen guten Job, andere haben schlicht keine fachliche Qualifikation. Viele dieser Profile sind Werbeplattformen in Eigenregie, bei denen Provisionen für Klicks oder vermittelte Produkte gezahlt werden. Das Problem: Das wird oft nicht offengelegt. Wenn jemand also ein bestimmtes Produkt empfiehlt, verdient er möglicherweise daran – unabhängig davon, ob es für die Zielgruppe wirklich sinnvoll ist.

Redaktion: Gibt es typische Warnzeichen für unseriöse Anlagetipps in sozialen Netzwerken?

Thomas Bremer: Ja, einige sehr klare sogar:

Extrem hohe Gewinnversprechen ohne Risiko – das gibt es nicht. Punkt.

Druck durch Zeitargumente – wer Sie drängt, jetzt sofort zu investieren, will verhindern, dass Sie nachdenken.

Wechsel in Messenger-Dienste oder private Chats – das dient der Abschottung und Täuschung.

Unklare Absender – wenn Sie nicht wissen, wer hinter dem Profil steckt, Finger weg.

Nur positive Erfahrungen in den Kommentaren – oft gekauft oder vom Anbieter selbst verfasst.

Seriosität erkennt man nicht an Likes oder Followerzahlen. Manipulation ist in sozialen Medien ein Geschäftsmodell.

Redaktion: Viele Nutzer wissen gar nicht, dass FinFluencer oft selbst von Kurssteigerungen profitieren. Können Sie das erklären?

Thomas Bremer: Genau – und das ist besonders perfide. Da wird zum Beispiel eine kleine Aktie oder ein Krypto-Projekt massiv beworben. Die Tippgeber haben sich vorher eingekauft und treiben mit ihren Posts den Kurs nach oben. Wenn der Hype seinen Höhepunkt erreicht, verkaufen sie mit Gewinn – der sogenannte Pump-and-Dump-Effekt. Zurück bleiben Anleger, die auf überhöhten Kursen eingestiegen sind und später große Verluste erleiden. Das ist Marktmanipulation und strafbar – aber schwer zu verfolgen, gerade wenn die Drahtzieher im Ausland sitzen.

Redaktion: Was sollte man tun, wenn man schon Geld verloren oder einen unseriösen Tipp verfolgt hat?

Thomas Bremer: Zuerst: Keine Scham! Viele Menschen tappen in diese Falle, das ist kein Einzelfall. Wichtig ist: Sofort Anzeige bei der Polizei erstatten und die eigene Bank kontaktieren, ob noch eine Rückbuchung möglich ist. Alle Unterlagen sichern – Screenshots, Nachrichten, Zahlungsbelege. Und: Kontakt mit der BaFin oder der Verbraucherzentrale aufnehmen. Dort bekommt man erste Hilfe und wird nicht allein gelassen.

Redaktion: Was raten Sie Menschen, die in sozialen Netzwerken auf Anlagetipps stoßen?

Thomas Bremer: Prüfen Sie immer:

Wer gibt den Tipp? Ist es ein anerkannter Fachmann – oder jemand ohne Impressum?

Welche Absicht steckt dahinter? Geht es um Aufklärung oder um einen schnellen Deal?

Gibt es auch Informationen über Risiken – oder nur Versprechungen?

Findet eine externe, seriöse Berichterstattung über das Investment statt?

Und vor allem: Reden Sie mit Ihrer Bank, einem seriösen Finanzberater oder holen Sie sich Informationen bei der Verbraucherzentrale. Die besten Entscheidungen trifft man nicht unter Druck, sondern mit klarem Kopf.

Redaktion: Und zum Schluss: Was ist Ihr wichtigster Tipp für Anleger im Social-Media-Zeitalter?

Thomas Bremer: Social Media ist schnell – aber Geldanlagen brauchen Zeit, Information und gesunden Menschenverstand. Wenn ein Tipp klingt wie ein Lottogewinn, ist es meist ein Trick. Gute Entscheidungen brauchen keine Likes – sondern Wissen. Und das gibt es nicht im 15-Sekunden-Video.

Redaktion: Herr Bremer, vielen Dank für Ihre klaren Worte!

Thomas Bremer: Sehr gern – und bitte bleiben Sie kritisch. Das schützt am besten vor Schaden.

📌 Hinweis für Leserinnen und Leser:
Weitere Infos, Warnungen und Verbraucherschutz-Tipps finden Sie auf:

www.bafin.de

www.verbraucherzentrale.de

www.diebewertung.de

sowie bei Ihrer örtlichen Polizei und in deren Präventionsangeboten

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