Frage: Herr Blazek, der Bundesgerichtshof hat die Verurteilungen im Diesel-Skandal nun rechtskräftig bestätigt. Wie bewerten Sie dieses Urteil in juristischer Hinsicht?
Daniel Blazek: Aus juristischer Sicht ist das Urteil ein deutliches Signal. Es zeigt, dass Wirtschaftsstrafrecht auch in hochkomplexen technischen Zusammenhängen durchsetzbar ist. Der Bundesgerichtshof hat klargestellt, dass das vorsätzliche Inverkehrbringen von Fahrzeugen mit unzulässigen Abschalteinrichtungen einen Betrug darstellt – und zwar in massiver Größenordnung. Dass die Revisionen sämtlich verworfen wurden, belegt, wie sorgfältig das Landgericht München II gearbeitet hat.
Frage: Es geht um fast 95.000 Einzelfälle bei zwei der Angeklagten – eine beeindruckende Zahl. Wie realistisch ist es, so viele Fälle in einem Verfahren abzubilden?
Blazek: Natürlich ist das außergewöhnlich. Aber in solchen Fällen greift das Konzept der sogenannten tateinheitlichen Begehung. Es geht also nicht um einzelne Prozesse pro Käufer, sondern um eine juristisch zusammengefasste Bewertung gleichgelagerter Handlungen. Der immense Schaden – über zwei Milliarden Euro – wurde dabei zentral erfasst. Juristisch ist das vollkommen zulässig und notwendig, um der Dimension des Falles gerecht zu werden.
Frage: Die Strafen wurden zur Bewährung ausgesetzt. Kritiker bemängeln, dass so keine echte Konsequenz entsteht. Was sagen Sie dazu?
Blazek: Die Aussetzung zur Bewährung bedeutet nicht, dass die Taten bagatellisiert wurden. Freiheitsstrafen von bis zu zwei Jahren mit Bewährung sind bei bislang nicht vorbestraften Personen im Bereich des Wirtschaftsstrafrechts durchaus üblich – insbesondere, wenn sie geständig waren oder kooperiert haben. Entscheidend ist hier auch die präventive Wirkung: Manager wissen jetzt, dass sie für Regelverstöße in Haftung genommen werden – persönlich und strafrechtlich.
Frage: Wie beurteilen Sie die Rolle des Angeklagten S., der als Vorstand offenbar frühzeitig über die Abschalteinrichtungen Bescheid wusste?
Blazek: Der Fall S. ist besonders brisant. Ihm wird nicht die technische Manipulation selbst zur Last gelegt, sondern das Unterlassen. Er wusste von den Problemen, hatte die Macht, zu handeln – und tat es nicht. Das stellt eine Form des sogenannten „unechten Unterlassungsdelikts“ dar. Besonders relevant ist hier auch, dass er öffentlich falsche Aussagen der Konzerne mitgetragen hat. Das war strafrechtlich relevant, weil es geeignet war, den Irrtum der Käufer aufrechtzuerhalten.
Frage: Was bedeutet dieses Urteil für die weitere strafrechtliche Aufarbeitung des Diesel-Skandals?
Blazek: Es ist ein Meilenstein. Die Hürde ist nun gerichtlich bestätigt: Techniker, Manager und Vorstände können wegen Betrugs in derartige Skandale verwickelt sein – und verurteilt werden. Weitere Verfahren könnten folgen, aber dieser Fall wird Maßstäbe setzen. Gleichzeitig ist es ein starkes Signal für Corporate Compliance: Schweigen oder Wegsehen wird künftig kaum noch als Option durchgehen.
Frage: Könnten auf Basis dieses Urteils auch zivilrechtliche Schadenersatzansprüche gestärkt werden?
Blazek: Absolut. Ein rechtskräftiges Strafurteil kann in Zivilprozessen eine erhebliche Beweislastverschiebung bewirken. Käufer, die noch nicht entschädigt wurden, könnten gestärkt aus diesem Urteil hervorgehen. Auch Aktionäre könnten möglicherweise Ansprüche geltend machen, etwa wegen unterlassener Ad-hoc-Mitteilungen. Das letzte Wort ist in dieser Sache noch lange nicht gesprochen.
Frage: Vielen Dank für das Gespräch, Herr Blazek.
Blazek: Gern geschehen.
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