Rechtsanwältin Kerstin Bontschev, vielen Dank, dass Sie sich die Zeit für dieses Interview nehmen. In einem jüngst veröffentlichten Urteil haben das Landgericht Nürnberg-Fürth und das Oberlandesgericht Nürnberg entschieden, dass eine Bank nicht für den Schaden haftet, der durch einen Enkeltrick-Betrug entstanden ist. Können Sie uns bitte den Fall näher erklären?
Kerstin Bontschev:
Gerne. In dem Fall hatte der Kläger eine beträchtliche Summe – insgesamt 83.000 Euro – an Bargeld in zwei Tranchen innerhalb von eineinhalb Stunden von seinem Konto abgehoben. Er war der Meinung, dass er Opfer eines sogenannten Enkeltrick-Betrugs geworden sei, bei dem ihm vermutlich durch einen Anrufer oder eine SMS-Botschaft Geld abgeluchst werden sollte. Die Bank, bei der der Kläger das Geld abgehoben hatte, wurde später auf Schadensersatz verklagt, da er der Ansicht war, die Bank habe gegen ihre vertraglichen Warn- und Schutzpflichten verstoßen, indem sie das Geld ausgezahlt habe, obwohl Anhaltspunkte für einen Betrug vorlagen.
Was genau war der Vorwurf des Klägers?
Kerstin Bontschev:
Der Kläger behauptete, dass die Bank bei den beiden Barabhebungen nicht ausreichend auf die Möglichkeit eines Betrugs hingewiesen und ihn nicht ausreichend gewarnt habe. Besonders kritisch war für ihn der Umstand, dass er den Betrag in einer kurzen Zeitspanne abgehoben und den Überweisungsweg über ein Sparkonto gewählt hatte, was in Verbindung mit seinem Alter und der Höhe des Betrages typische Anzeichen für einen Enkeltrick darstellen könnte. Nach seiner Ansicht hätte die Bank hier aktiv eingreifen müssen, um ihn vor dem möglichen Betrug zu schützen.
Wie haben die Gerichte den Fall bewertet?
Kerstin Bontschev:
Das Landgericht Nürnberg-Fürth wies die Klage bereits in der ersten Instanz ab, da eine Bank grundsätzlich nicht verpflichtet ist, Kunden vor der Verwendung ihres eigenen Geldes zu warnen, es sei denn, es bestehen objektiv massive Verdachtsmomente für eine Straftat. In diesem Fall hatte eine Bankangestellte den Kläger explizit auf den sogenannten Enkeltrick hingewiesen und ihn gefragt, ob er mit seiner Enkeltochter gesprochen habe. Der Kläger bejahte diese Frage und gab an, dass er dies getan habe. Das Gericht stellte fest, dass angesichts dieser Aussagen keine hinreichenden Anhaltspunkte für einen Betrug vorlagen.
Auch das Oberlandesgericht Nürnberg bestätigte diese Entscheidung im Berufungsverfahren und hob hervor, dass Banken nicht verpflichtet sind, Rechenschaft über die Verwendung des Geldes zu verlangen. Es stellte klar, dass Banken zwar eine gewisse Aufklärungspflicht haben, aber nur dann, wenn wirklich ernsthafte Verdachtsmomente für einen Betrug bestehen – und das war hier nicht der Fall. Der Kläger zog daraufhin seine Berufung zurück, was das Urteil des Landgerichts rechtskräftig machte.
Was bedeutet dieses Urteil für die Praxis?
Kerstin Bontschev:
Dieses Urteil hat grundlegende Bedeutung, vor allem in Bezug auf die Pflichten von Banken, bei der Auszahlung von Bargeld im Zusammenhang mit Betrugsversuchen. Es zeigt, dass Banken nicht pauschal dazu verpflichtet sind, jede Barabhebung zu hinterfragen, es sei denn, es bestehen sehr konkrete Anhaltspunkte für einen Betrug. Ein bloßer Verdacht reicht nicht aus, um eine Haftung der Bank zu begründen. Kunden müssen bei der Abhebung von größeren Summen im Zweifel selbst dafür sorgen, dass sie nicht Opfer eines Betrugs werden – gerade bei ungewöhnlichen Transaktionen oder hohen Beträgen sollte man sich im Vorfeld gut informieren und gegebenenfalls auch rechtzeitig bei der Bank nachfragen.
Welche Schlussfolgerungen können Bankkunden aus diesem Urteil ziehen?
Kerstin Bontschev:
Bankkunden sollten sich bewusst sein, dass die Verantwortung für den Schutz vor Betrug in erster Linie bei ihnen selbst liegt. Insbesondere ältere Menschen, die möglicherweise besonders anfällig für Betrugsversuche wie den Enkeltrick sind, sollten im Vorfeld Vorsichtsmaßnahmen treffen. Sie sollten bei ungewöhnlichen Transaktionen oder Anfragen immer wachsam sein und bei Zweifeln lieber einen weiteren Schritt unternehmen, um mögliche Betrugsversuche zu verhindern. Es ist ebenfalls ratsam, sich regelmäßig über gängige Betrugsmaschen zu informieren.
Wie sehen Sie die künftige Entwicklung im Bereich der Haftung von Banken bei Betrug?
Kerstin Bontschev:
Ich gehe davon aus, dass dieses Urteil eine gewisse Klarheit in der Frage der Haftung von Banken bringt. Wir werden jedoch sicher auch in Zukunft Fälle sehen, in denen die Banken zunehmend in die Verantwortung genommen werden, vor allem, wenn es um die Frage geht, wie weit ihre Aufklärungspflichten reichen. Die Entscheidung zeigt jedoch, dass Banken nicht für jede Barabhebung haften, sondern nur in sehr speziellen Fällen, in denen massive Verdachtsmomente für einen Betrug vorliegen. Ich erwarte, dass sich die Rechtsprechung in dieser Hinsicht weiterentwickeln wird, besonders in Anbetracht der zunehmenden Digitalisierung und der damit verbundenen neuen Betrugsmaschen.
Rechtsanwältin Bontschev, vielen Dank für das Gespräch.
Kerstin Bontschev:
Gern geschehen!
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