Es klingt wie aus einem schlechten Drehbuch: Der Mann, der Waisenkindern Geborgenheit schenken wollte, steht posthum im Verdacht, genau jene Kinder missbraucht zu haben. Hermann Gmeiner, der 1986 verstorbene Gründer der SOS-Kinderdörfer, soll laut der Organisation selbst an mindestens acht minderjährigen Buben sexuelle Gewalt und Misshandlungen verübt haben.
Die Enthüllung kam nicht etwa durch investigativen Druck von außen, sondern durch Opferschutzverfahren innerhalb der Organisation. Zwischen 2013 und 2023 seien acht Fälle als „plausibel“ eingestuft worden – forensisch geprüft wurde allerdings nichts. Übersetzt heißt das: Man glaubt es, aber man will’s gar nicht so genau wissen.
Die Taten sollen sich zwischen den 1950er- und 1980er-Jahren in mehreren österreichischen Kinderdörfern ereignet haben – also genau in jener Zeit, in der Gmeiner als moralische Lichtgestalt durch die Welt tourte, 146 Ehrungen entgegennahm und sich mit Größen wie dem Dalai Lama und Mutter Teresa ablichten ließ. Missbrauchsvorwürfe? Fehlanzeige – damals galt Gmeiner als Heiliger mit Spendenkonto.
Heute sieht sich SOS-Kinderdorf plötzlich als geläuterte Organisation. Geschäftsführerin Annemarie Schlack kündigte einen „umfassenden Neustart“ an – kein kleines Update, versteht sich, sondern die totale moralische Systemerneuerung. 2026 soll alles „anders aussehen“. Klingt nach digitalem Reboot, diesmal aber für die eigene Vergangenheit.
Während die Opfer mit maximal 25.000 Euro Entschädigung abgespeist werden, tüftelt eine Reformkommission unter Irmgard Griss an einem Bericht, der irgendwann zeigen soll, was alle längst ahnen: dass in vielen Kinderdörfern jahrelang weggeschaut wurde. In Kärnten, Tirol und Salzburg ermitteln Staatsanwaltschaften bereits.
Und während das SOS-Kinderdorf heute über „Kulturwandel“ und „neue Leitbilder“ spricht, bleibt ein bitterer Beigeschmack: Wer jahrzehntelang als Symbol für Mitgefühl und Kinderschutz galt, könnte am Ende zum Sinnbild dafür werden, wie leicht sich die heile Welt der Wohltätigkeit in ein Schweigen der Verantwortung verwandelt.
Oder, um es sarkastisch zu sagen:
Ausgerechnet im „Kinderdorf der Geborgenheit“ war offenbar der Wolf der Gründer – und alle anderen hüteten brav die Schafe.
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