Während der Waffenstillstand im Gazastreifen weiter Bestand hat, beginnt die Hamas offenbar damit, ihre Kontrolle über Gebiete, aus denen sich die israelischen Truppen zurückgezogen haben, wieder zu festigen. Gleichzeitig geht die Organisation mit Gewalt gegen mutmaßliche Kollaborateure und informelle Gegnergruppen vor.
Am Samstag zeigten Fotos Angehörige der inneren Sicherheitskräfte der Hamas auf den Straßen von Gaza-Stadt. In den vergangenen Tagen gab es laut mehreren Berichten Zusammenstöße zwischen Hamas-Kämpfern und lokalen Clans, die sich gegen die Miliz stellen.
Ein über Hamas-nahe Telegram-Kanäle verbreitetes Statement des sogenannten „Palästinensischen Heimatschutzes“ erklärte am Sonntag:
„Eine Reihe von Kollaborateuren und Informanten wurde in Gaza-Stadt festgenommen, nachdem sich herausgestellt hatte, dass sie für den Feind spioniert und an der Ermordung mehrerer Widerstandskämpfer beteiligt waren.“
Demnach führen Hamas-Sicherheitskräfte derzeit eine großangelegte Kampagne im gesamten Gazastreifen durch, um mutmaßliche Spione aufzuspüren.
Ein Video, das am Wochenende über Hamas-nahe Kanäle veröffentlicht wurde, zeigte, wie ein angeblicher Informant an einem unbekannten Ort geschlagen wurde. Andere Aufnahmen zeigten bewaffnete, maskierte Hamas-Mitglieder in einem Markt in Gaza-Stadt sowie Sicherheitskräfte in Uniform mit der Aufschrift „Police“, die mit Zivilisten interagierten.
Hamas festigt Macht – trotz Erschütterungen durch den Krieg
Trotz massiver Verluste und anhaltender israelischer Angriffe hat Hamas ihre Eiserne Kontrolle über Gaza weitgehend bewahrt. CNN hatte zuvor berichtet, dass die Organisation bereits während des Krieges mutmaßliche Plünderer exekutiert oder verstümmelt hatte – ein Zeichen für ihre fortbestehende Macht.
Das von Hamas geführte Innenministerium kündigte an, ab Montag eine einwöchige Amnestie für Mitglieder von kriminellen Banden zu gewähren, „sofern sie nicht in Blutvergießen oder Tötungen verwickelt waren“.
Doch der Herrschaftsanspruch der Hamas wird zunehmend von lokalen Clans, insbesondere im Süden des Gazastreifens, herausgefordert. Einige dieser Gruppen stehen unter israelischem Schutz und leisten Widerstand.
So kam es etwa im Sabra-Viertel von Gaza-Stadt zu heftigen Gefechten zwischen Sicherheitskräften und Angehörigen einer einflussreichen Familie. Dabei wurde Muhammad Imad Aql, Sohn eines hochrangigen Hamas-Kommandeurs, getötet.
Am Freitagabend umzingelten Hamas-Kräfte das Viertel der Dughmush-Familie, in dem laut Augenzeugen mehrere Familienmitglieder getötet wurden. Bewaffnete Männer wurden auch rund um das Jordanische Krankenhaus stationiert.
Auch am Sonntag dauerten die Gefechte in der Region an, bestätigten lokale Quellen gegenüber CNN.
Widerstand im Süden: „Es gibt kein Hamas mehr“
Im Süden des Gazastreifens weigert sich eine Gruppe namens Popular Forces, ihre Waffen niederzulegen. Sie begleitet Hilfslieferungen und hat sich offen gegen die Hamas gestellt.
Ihr Anführer Hussam al-Astal erklärte in einem Facebook-Post:
„An alle Hamas-Ratten: Eure Tunnel sind zerstört, eure Rechte existieren nicht mehr. Bereut, bevor es zu spät ist – ab heute gibt es keine Hamas mehr.“
Gegenüber dem israelischen Sender Channel 12 sagte al-Astal, seine Bewegung wolle eine Alternative zur Hamas sein:
„Sie führen psychologische Kriegsführung. Sie werden all ihre Macht einsetzen, um zu beweisen, dass es keine andere Option in Gaza gibt als sie selbst.“
Die Gruppe soll sich inzwischen in Gebiete zurückgezogen haben, die weiterhin unter israelischer Kontrolle stehen.
Unklare Zukunft der Sicherheitslage
Wie die Sicherheits- und Polizeistrukturen in Gaza künftig aussehen werden, ist derzeit ungewiss. Israel fordert seit Langem die vollständige Entwaffnung der Hamas, was die Organisation bisher strikt ablehnt.
Der von US-Präsident Donald Trump vorgestellte 20-Punkte-Friedensplan sieht vor, dass Hamas-Mitglieder, die ihre Waffen niederlegen und friedliche Koexistenz akzeptieren, Amnestie erhalten sollen.
Darüber hinaus soll eine Internationale Stabilisierungstruppe (ISF) in Gaza stationiert werden, um den Wiederaufbau einer palästinensischen Polizei zu überwachen.
Doch bisher fehlen konkrete Details zur Zusammensetzung, Finanzierung und Autorität dieser internationalen Truppe. Experten des Londoner Thinktanks Chatham House warnen, dass eine solche Mission „logistisch äußerst komplex“ wäre und Monate dauern könnte, bis sie arbeitsfähig ist.
Zukunft ungewiss – Machtvakuum droht
Durch den zweijährigen Krieg ist ein Großteil der bisherigen Polizeikräfte Gazas getötet oder verletzt worden. In vielen Gebieten herrscht Rechts- und Sicherheitsvakuum – Plünderungen und Gewalt nehmen zu.
Berichten zufolge sollen Jordanien und Ägypten beim Aufbau und der Schulung der neuen Sicherheitskräfte eine führende Rolle übernehmen. Wann diese jedoch tatsächlich die Kontrolle übernehmen – und ob die Hamas-Sicherheitskräfte bis dahin verschwinden – bleibt offen.
Fazit
Während der Waffenstillstand eine Atempause für die Bevölkerung bringt, nutzt die Hamas die Gelegenheit, ihre Herrschaft im Gazastreifen zu festigen.
Mit Gewalt, Drohungen und gezielten Verhaftungen versucht die Organisation, ihre Gegner einzuschüchtern und potenzielle Rivalen auszuschalten.
Doch die Lage bleibt instabil: interne Machtkämpfe, rivalisierende Gruppen und das Fehlen klarer Sicherheitsstrukturen drohen, den fragilen Frieden schnell zu untergraben.
Der Weg zu einem dauerhaften Frieden in Gaza – so viel steht fest – wird lang, gefährlich und politisch hochkompliziert sein.
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