Großstädte gelten als Orte der Möglichkeiten: kulturelle Vielfalt, berufliche Chancen, kurze Wege, ein pulsierendes Leben. Gleichzeitig verbinden viele Menschen das urbane Leben mit Lärm, Enge, Verkehrschaos und ständiger Reizüberflutung. Das Leben auf dem Land wirkt im Vergleich dazu ruhig, überschaubar und naturnah. Doch ist das Landleben tatsächlich gesünder? Genau dieser Frage geht die Wissenschaft seit Jahren nach – mit teils klaren, teils ernüchternden Ergebnissen.
Forschende stellen fest: Psychische Erkrankungen treten bei Stadtbewohnern deutlich häufiger auf als bei Menschen im ländlichen Raum. Besonders betroffen sind Depressionen, Angststörungen und schwere psychische Erkrankungen wie Schizophrenie. Auch körperliche Leiden, sogenannte Zivilisationskrankheiten, kommen in Städten öfter vor. Dazu zählen unter anderem Darmerkrankungen, Diabetes oder Allergien.
Höheres Risiko für psychische Erkrankungen
Der Psychiater Mazda Adli, Professor für Psychiatrie und Psychotherapie an der Charité, verweist auf zahlreiche epidemiologische Studien. Diese zeigen, dass das Risiko für eine Depression bei Stadtmenschen etwa eineinhalbmal so hoch ist wie bei Menschen auf dem Land. Auch Angststörungen treten in Städten häufiger auf. Besonders auffällig ist der Unterschied bei Schizophrenie: Wer in der Stadt lebt oder dort aufwächst, hat ein mindestens doppelt so hohes Erkrankungsrisiko.
Warum macht Stadt krank?
Eine eindeutige Ursache-Wirkungs-Beziehung konnte die Forschung bislang nicht nachweisen. Klar ist also nicht, warum diese Häufung entsteht – wohl aber, welche Faktoren eine Rolle spielen könnten. Mazda Adli spricht von mehreren Stressformen, die das Stadtleben prägen:
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Dichtestress durch das Leben auf engem Raum
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Stress durch Menschenmassen, ständige Begegnungen und Reizüberflutung
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Isolationsstress, also das gleichzeitige Gefühl von Anonymität und sozialer Distanz trotz vieler Menschen
Diese Mischung aus Nähe und Einsamkeit gilt als besonders belastend für die Psyche.
Das Gehirn im Daueralarm
Was die Forschung jedoch mit großer Sicherheit weiß: Stadtmenschen reagieren empfindlicher auf Stress. In Studien, bei denen Probandinnen und Probanden gezielt sozialem Stress ausgesetzt wurden, zeigte sich in der funktionellen Kernspintomografie, dass bei Stadtbewohnern stressverarbeitende Hirnareale deutlich stärker aktiviert werden. Das Gehirn reagiert also intensiver – es steht gewissermaßen schneller unter Alarm.
Diese erhöhte Sensibilität ist vermutlich eine Anpassung an den urbanen Alltag. Wer sich in der Stadt bewegt, muss ständig aufmerksam sein: mehr Verkehr, mehr Geräusche, mehr soziale Signale, weniger Raum. Das Gehirn lernt, dauerhaft wachsam zu sein. Langfristig kann dieser Zustand jedoch erschöpfen – und krank machen.
Auch der Körper leidet
Neben psychischen Erkrankungen leiden Stadtbewohner auch häufiger unter körperlichen Problemen. Luftverschmutzung, Lärm, Bewegungsmangel und ein oft ungesünderer Lebensstil tragen dazu bei, dass chronische Erkrankungen in Städten häufiger auftreten. Zwar bieten Städte medizinisch eine bessere Versorgung, doch sie erzeugen gleichzeitig Bedingungen, die Gesundheit belasten.
Stadt oder Land – eine Frage der Gestaltung
Die Forschung macht deutlich: Nicht die Stadt an sich ist das Problem, sondern wie wir in ihr leben. Grünflächen, Rückzugsorte, weniger Lärm, soziale Nähe und Möglichkeiten zur Erholung können die negativen Effekte deutlich abmildern. Ohne solche Ausgleiche jedoch wird das urbane Leben für viele Menschen zur dauerhaften Belastung.
Das Fazit der Wissenschaft fällt daher differenziert aus: Die Stadt bietet Chancen – fordert aber einen hohen Preis. Wer dauerhaft unter Stress steht, zahlt diesen oft mit seiner psychischen und körperlichen Gesundheit.
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