In der englischen Grafschaft Essex droht ein Stück lokaler Kultur der digitalen Zukunft zum Opfer zu fallen: Der North Weald Market, einer der traditionsreichsten Wochenmärkte Großbritanniens, könnte bald massiv schrumpfen. Grund ist ein geplanter Parkplatz für Mitarbeiter des neuen Google-Rechenzentrums, das auf Teilen des Marktgeländes entstehen soll.
Google kauft Militärgelände für mehr als 100 Millionen Euro
Im Jahr 2024 kaufte der US-Konzern Google vom Epping Forest District Council rund 52 Acres Land (etwa 21 Hektar) auf dem Gelände des ehemaligen RAF North Weald Airfield. Der Kaufpreis: 88,2 Millionen Pfund, also rund 102 Millionen Euro.
Auf einem Teil dieser Fläche soll in den kommenden fünf Jahren ein Großparkplatz für das Rechenzentrum entstehen. Das bedeutet: Rund ein Drittel der bisherigen Marktfläche fällt weg.
Die unmittelbare Folge: Bis zu 100 Marktstände verlieren ihren Platz – von bislang rund 300.
„Einer der beliebtesten Märkte des Landes“ in Gefahr
Der North Weald Market ist eine Institution: Seit Jahrzehnten zieht er samstags Händlerinnen und Händler aus ganz Südengland an – von Obstbauern und Antiquitätenhändlern bis zu Street-Food-Verkäufern und Handwerksbetrieben.
Tausende Besucher strömen regelmäßig auf das historische Flugfeld, das während des Zweiten Weltkriegs ein bedeutender Stützpunkt der Royal Air Force war.
Doch künftig könnten diese Bilder der Vergangenheit angehören. Die Bezirksverwaltung bestätigte, dass sowohl die Marktfläche als auch die Besucherparkplätze deutlich kleiner werden sollen.
„Wir wissen, wie wichtig der Markt für die Gemeinde ist“, sagte die konservative Ratsfrau Holly Whitbread. „Aber wir müssen das Gelände auch wirtschaftlich und zukunftsorientiert nutzen. Die Partnerschaft mit Google bietet uns technologische und finanzielle Chancen.“
Händler fühlen sich im Stich gelassen
Für viele Marktbetreiber klingt das nach einem schlechten Tausch.
„Wir reden hier nicht nur von einem Markt, sondern von einer Lebensgrundlage“, klagt ein Händler, der dort seit über 20 Jahren Kleidung verkauft.
Auch Besucher äußern Unmut:
„Das ist ein Ort, an dem Menschen zusammenkommen – altmodisch, aber herzlich. Wenn Google hier alles umbaut, verschwindet ein Stück unserer Gemeinschaft.“
Manche befürchten sogar, dass der Markt komplett verschwinden könnte, sollte der Flächenverlust langfristig zu Umsatzrückgängen führen.
Digitalisierung trifft Dorfalltag
Der Fall steht sinnbildlich für eine Entwicklung, die vielerorts zu beobachten ist: Tech-Giganten expandieren – lokale Strukturen weichen.
Google verspricht, durch den Bau des Rechenzentrums Arbeitsplätze, Investitionen und technologische Infrastruktur in die Region zu bringen. Doch für die Bewohner rund um North Weald Airfield klingt das nach einem zweifelhaften Gewinn:
„Was nützen uns Hightech-Arbeitsplätze, wenn die Orte, an denen Menschen sich treffen, verschwinden?“ fragt eine Anwohnerin in einem BBC-Interview.
Ein Dilemma zwischen Fortschritt und Verlust
Die Kommunalverwaltung versucht derzeit, Ausweichflächen für den Markt zu prüfen. Ob diese Lösung realistisch ist, bleibt offen – schließlich hängt der Erfolg des Marktes eng mit seinem historischen Standort zusammen.
Der Fall zeigt ein wachsendes Spannungsfeld: Technologische Expansion gegen lokale Identität.
Wenn die Pläne umgesetzt werden, könnten die Samstage in North Weald künftig leiser werden – ohne das Stimmengewirr der Händler, ohne den Duft von Street Food, dafür mit dem Surren von Servern und dem Brummen parkender Autos.
Fazit
Der Konflikt um den North Weald Market ist mehr als ein Streit um Flächen – er steht für die Kollision zweier Welten: der analogen Gemeinschaftskultur und der digitalen Industriepolitik.
Am Ende bleibt die Frage, die über Essex hinausreicht:
Wie viel lokales Leben darf der technologische Fortschritt kosten – und wer entscheidet das?
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