Rund 50 Jahre nach dem Ende des Vietnamkriegs droht tausenden vietnamesischen Geflüchteten in den USA die Abschiebung – obwohl sie seit Jahrzehnten im Land leben und teils bereits als Kinder aufgenommen wurden. Einer von ihnen ist Huy Quoc Phan, 43 Jahre alt, Familienvater aus Alabama. Er sitzt seit über einem Monat in einem Abschiebezentrum in Louisiana, obwohl er seit seiner Entlassung aus dem Gefängnis vor zehn Jahren ein unauffälliges Leben führte.
Ein alter Schuldspruch als Auslöser
Phan wurde im Alter von 17 Jahren wegen seiner Beteiligung an einem Raubüberfall, bei dem ein Ladenbesitzer ums Leben kam, zu 15 Jahren Haft verurteilt. Während seiner Haft erlangte er Schulabschlüsse und absolvierte eine Ausbildung. Seit seiner Entlassung 2015 hat er gearbeitet, geheiratet und eine Familie gegründet. Trotzdem wurde am 14. April 2025 seine Abschiebung angeordnet – gestützt auf ein Abschiebeurteil von 2002, das während seiner Haftzeit ergangen war.
Bruch mit jahrzehntelanger Praxis
Die USA hatten nach dem Fall von Saigon im Jahr 1975 mehr als 125.000 vietnamesische Geflüchtete aufgenommen – bis 2000 waren es fast eine Million. Unter Demokraten und Republikanern galt bislang der politische Konsens, diese Geflüchteten auch nach strafrechtlichen Verurteilungen nicht abzuschieben, da Vietnam sie meist nicht zurücknahm.
Unter Präsident Donald Trump wurde diese Praxis jedoch erstmals während seiner ersten Amtszeit gebrochen. Jetzt – in seiner zweiten Amtszeit – hat die Regierung die Abschiebungen erneut forciert. Tricia McLaughlin vom Heimatschutzministerium betonte: „Wir schützen die Amerikaner, indem wir kriminelle Ausländer abschieben.“
Betroffene fühlen sich verraten
„Wir fühlen uns zum zweiten Mal verlassen – nach dem Krieg nun durch die Regierung, die uns einst Schutz versprach“, sagt Quyen Mai, Direktor einer vietnamesisch-amerikanischen Hilfsorganisation in Kalifornien. Auch Historikerin Jana Lipman von der Tulane University verweist auf ein moralisches Versprechen, das die USA mit der Aufnahme dieser Menschen einst gaben.
Familiäres Drama in Alabama
Phans Frau Amy kämpft öffentlich um seinen Verbleib. In sozialen Medien, etwa auf TikTok, appellierte sie mit einem emotionalen Video, das über 900.000 Aufrufe verzeichnete: „Gebt mir meinen Mann zurück!“ Auch Kollegen aus dem Lagerhaus, in dem Phan zuletzt arbeitete, loben ihn als verlässlichen und integren Mitarbeiter.
Amy steht jetzt vor der Frage, ob sie mit den beiden Kindern nach Vietnam ziehen müsste – einem Land, das sie nie gesehen hat und das für Phan längst fremd geworden ist. Seine Erinnerungen an Vietnam beschränken sich auf die Flucht als Siebenjähriger in einem Boot und das Leuchten der USA bei der Ankunft in Atlanta: „Es war wie ein Weihnachtsbaum – magisch“, erinnert er sich.
Politischer und juristischer Streit um ein Menschenleben
Der Fall Phan steht exemplarisch für viele ähnliche Schicksale. Laut Schätzungen haben etwa 8.600 vietnamesischstämmige US-Einwanderer trotz früherer Abschiebeverfügungen Schutz vor der Rückführung genossen. Doch diese stillschweigende Vereinbarung mit Vietnam steht offenbar vor dem Bruch.
Rechtsanwälte und Menschenrechtsorganisationen sehen darin einen gefährlichen Präzedenzfall. Ein abgeschlossener Rechtsstreit aus dem Jahr 2021 untersagte zwar eine unbefristete Inhaftierung dieser Gruppe – die Abschiebepraxis bleibt jedoch rechtlich umkämpft.
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