Ein sonniger Sonntag in Huntsville, Alabama: Frühstückscroissants, Videospiele im Wohnzimmer, Kinderlachen im Garten – es wirkt wie eine ganz normale Familie. Doch während die sechs Kinder spielen, packt Chelsea Brunty-Barojas im Nebenzimmer hektisch Kleidung, Dokumente und Spielsachen in eine 40-Liter-Kiste. Sie weiß: Es könnte der letzte Tag sein, an dem ihr Mann Antonio Barojas Solano noch bei ihr ist.
Denn die US-Einwanderungsbehörde ICE könnte ihn jederzeit abholen – und nach Mexiko abschieben, das Land, das er seit seinem 14. Lebensjahr nicht mehr gesehen hat.
🇺🇸 Ein Leben zwischen zwei Welten
Antonio kam als Teenager mit seinem Onkel in die USA, wuchs hier auf, gründete eine Familie, baute sich ein kleines Unternehmen im Bauwesen auf. Seit Jahren arbeitet er legal, zahlt Steuern, kümmert sich um seine Kinder – und wollte seine Aufenthaltspapiere auf regulärem Weg legalisieren.
Doch ein Zufall veränderte alles:
Am 6. August wollte er nach der Arbeit einer Familie kondolieren, deren Angehörige bei einem Autounfall ums Leben gekommen waren. Vor dem Haus standen Polizisten – und ICE-Agenten, die dort eigentlich nach einem anderen Verdächtigen suchten. Sie nahmen den Mann fest – und begannen anschließend, „alle anwesenden Hispanics“ nach ihren Papieren zu fragen.
Antonio erklärte, dass er mit einer US-Amerikanerin verheiratet sei und ein laufendes Verfahren habe. Trotzdem nahmen ihn die Beamten fest.
⛓️ Sechs Wochen Haft – und ein zerstörtes Vertrauen
Seine Frau Chelsea erfuhr vom Verschwinden ihres Mannes durch einen verpassten Anruf. Wenig später fand sie mithilfe der Handyortung heraus, wo er festgehalten wurde.
„Ich wusste, dass so etwas passieren kann“, sagt sie. „Aber nicht uns. Nicht meinem Mann. Er ist kein Krimineller.“
Antonio wurde in das berüchtigte Adams Detention Center in Mississippi gebracht – das größte permanente ICE-Gefängnis der USA. Nach sechs Wochen durfte er gegen 5.000 Dollar Kaution raus.
Doch die US-Behörden legten Berufung gegen seine Freilassung ein. Begründung: Laut einer neuen rechtlichen Entscheidung dürfen Einwanderungsrichter keine Kautionen mehr für Personen gewähren, die illegal eingereist sind.
⚖️ Trumps „harte Linie“ gegen Einwanderer
Die rechtliche Grundlage dafür liefert eine Entscheidung des von Trumps Administration beeinflussten Board of Immigration Appeals – bekannt als Matter of Yajure-Hurtado.
Damit wird eine Praxis gestützt, die Millionen Menschen betrifft: Selbst wer nie straffällig geworden ist, kann ohne richterliche Überprüfung in Haft bleiben.
Während Medien spektakuläre Razzien in Fabriken und auf Feldern zeigen, läuft der eigentliche Umbau der US-Einwanderungspolitik leise – über juristische Winkelzüge, bürokratische Verfahren und die schrittweise Aushöhlung des Ermessensspielraums von Richtern.
💔 Eine Familie in Angst
Chelsea, 37, versucht, die Kontrolle zu behalten. Sie leidet selbst unter einer schweren Erkrankung – regelmäßig müssen Tumore operativ entfernt werden. Ihre Tochter Camille (15) hat Epilepsie. Ohne Antonios Einkommen wüsste sie nicht, wie sie das Haus halten soll.
Dennoch packt sie weiter – für alle Fälle. In den Kisten liegen Kleidung, eine Kaffeemaschine, ein Heizlüfter – und 80 Kaffeekapseln, „falls man die in Mexiko nicht bekommt“, sagt sie mit einem schwachen Lächeln.
Antonio sagt:
„Ich habe Hoffnung, aber ich weiß, wir sind in ihren Händen. Vielleicht geben sie mir eine Chance – vielleicht nicht.“
🕊️ „Wir bitten nur um Gnade“
Die Familie schrieb Briefe an lokale Politiker, suchte Unterstützung beim Stadtrat – vergeblich. Keine Antwort. Keine Hilfe.
„Mein Mann ist Teil dieser Gesellschaft“, sagt Chelsea. „Er arbeitet, zahlt Steuern, kümmert sich um seine Kinder. Und trotzdem behandelt ihn die Regierung wie einen Verbrecher.“
Sie nennt es bitteren Hohn, dass ihre Vorfahren im amerikanischen Bürgerkrieg kämpften – und nun der Staat, dessen Freiheit sie verteidigten, ihren Mann fortschicken will.
„Ich will nichts Illegales. Ich will nur, dass meine Familie zusammenbleiben darf“, sagt sie. „Wir bitten nicht um Geld, wir bitten um Gnade.“
🔚 Ein Schicksal, das kein Einzelfall ist
Das Schicksal der Brunty-Barojas-Familie ist nur eines von Tausenden, die sich derzeit in den USA abspielen.
Unter der Oberfläche von politischen Parolen über „Sicherheit“ und „Recht und Ordnung“ stehen Familien vor dem Nichts – getrennt durch Grenzen, Paragrafen und Bürokratie.
Am 29. Oktober muss Antonio erneut zur ICE-Kontrolle. Ob er danach zurück nach Hause darf – oder direkt in ein Abschiebeflugzeug gesetzt wird – weiß niemand.
Jeden Abend, wenn er seine kleine Tochter Colette ins Bett bringt, sagt sie:
„Daddy, don’t go.“
Und er antwortet leise:
„Ich bleibe so lange, wie ich darf.“
Fazit:
Trumps „Massenabschiebung“ trifft längst nicht nur Straftäter. Sie trifft Familien, Nachbarn, Handwerker – Menschen, die Teil der Gesellschaft geworden sind. Und sie zeigt, dass Bürokratie oft gnadenloser sein kann als jede politische Parole.
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