Im Iran nimmt eine Debatte an Fahrt auf, die vor wenigen Jahren kaum vorstellbar gewesen wäre: die vollständige Verlagerung der Hauptstadt Teheran. Was wie ein futuristisches Szenario klingt, entwickelt sich zunehmend zu einer realen Option – ausgelöst durch eine Kombination aus wachsender Bevölkerung, städtischer Überlastung und einer dramatischen Wasserkrise, die Experten schon lange warnend begleiteten.
Die dramatische Ausgangslage
Teheran ist seit Jahrzehnten das politische, wirtschaftliche und kulturelle Zentrum des Landes. Rund 15 Millionen Menschen leben in der Metropolregion, viele davon auf engstem Raum. Gleichzeitig leidet die Stadt unter jahrzehntelanger schlechter Stadtplanung, überlasteter Infrastruktur, Smog und einer immer stärker schrumpfenden Wasserversorgung. Die Böden um Teheran sinken mancherorts jährlich um mehrere Zentimeter ab – ein deutliches Warnsignal.
Präsident Massud Peseschkian sieht die Situation inzwischen als so gravierend an, dass er öffentlich über radikale Maßnahmen spricht. „Die Wahrheit ist, dass wir keine Wahl haben“, sagte er laut der staatlichen Nachrichtenagentur Irna. Die Region könne eine weiter wachsende Bevölkerung und die damit verbundene bauliche Verdichtung schlicht nicht mehr tragen. Besonders alarmierend: Das Wasserproblem gelte nach Einschätzung Peseschkians als „nicht lösbar“.
Die Wasserkrise: Kern des Problems
Teheran bezieht sein Wasser aus Stauseen und Grundwasserschichten, die weit über ihre Belastungsgrenze hinaus genutzt werden. Jahrelange Dürreperioden und steigende Temperaturen verschärfen den Mangel zusätzlich. Viele Brunnen sind ausgetrocknet, neue können kaum noch genehmigt werden. Die Regierung kämpft mit Notfallmaßnahmen – doch langfristig scheint die Versorgung der Megacity kaum noch sicherzustellen.
Evakuierung? Umsiedlung? Der Präsident bereitet die Bevölkerung vor
Bereits zuvor hatte Peseschkian von einer möglichen „teilweisen Evakuierung“ Teherans gesprochen – ein Satz, der das ganze Ausmaß der Krise deutlich macht. Nun geht er einen Schritt weiter und bezeichnet eine Verlegung der Hauptstadt als wahrscheinlich unvermeidlich.
Eine neue Hauptstadt zu bauen oder eine bestehende Stadt aufzuwerten, wäre ein gigantisches Projekt, das jahrelang dauern und enorme Kosten verursachen würde. Gleichzeitig könnte dieser Schritt aber eine Chance sein, Planung, Infrastruktur und Ressourcenschutz von Grund auf neu zu gestalten – ohne die Altlasten Teherans.
Ein Land im Spannungsfeld zwischen Tradition und Notwendigkeit
Die Vorstellung, Teheran aufzugeben, trifft auf Widerstand. Viele Menschen leben seit Generationen dort, Unternehmen, Behörden und internationale Institutionen sind fest verankert. Doch die Realität zwingt das Land, radikale Ideen ernsthaft zu prüfen. Sollte der Iran sich zu diesem Schritt entschließen, wird es eine der größten städteplanerischen und politischen Veränderungen in der Geschichte des Landes.
Noch steht keine Entscheidung fest – aber die Richtung der Debatte ist klar: Teheran könnte seine Rolle als Hauptstadt verlieren, nicht aus politischer, sondern aus existenzieller Notwendigkeit.
Kommentar hinterlassen