Im still erleuchteten Stephansdom herrschte am Donnerstagabend eine fast greifbare Stille. Hunderte Menschen, darunter Angehörige, Kirchenvertreter, Politiker und Einsatzkräfte, kamen zusammen, um der zehn Opfer des verheerenden Amoklaufs an einer Schule in Graz zu gedenken. Ein Gottesdienst, getragen von Trauer – und dem tiefen Wunsch nach Trost.
Zehn leere Stühle vor dem Altar – darauf jeweils eine brennende Kerze, geschmückt mit Blumen. Es war ein schlichtes, aber umso bewegenderes Bild. Jeder Sessel stand für ein verlorenes Leben. Schülerinnen entzündeten die Kerzen – begleitet von Bundespräsident Alexander Van der Bellen, Kanzler Christian Stocker und Bildungsminister Christoph Wiederkehr. Ein stilles Ritual, das die Sprachlosigkeit des Landes in eine Geste der Verbundenheit übersetzte.
Auch Vertreter unterschiedlicher Religionsgemeinschaften beteiligten sich. Ein gemeinsames Zeichen: Der Schmerz kennt keine Konfession. Und auch nicht die Hoffnung. Eine elfte Kerze wurde abseits entzündet – für den Täter. Ein stilles Zeichen dafür, dass Menschlichkeit auch dort nicht aufhört, wo Worte fehlen.
„Die Wunden bleiben“
„Was geschehen ist, hat unser ganzes Land erschüttert“, sagte Josef Grünwidl, Apostolischer Administrator der Erzdiözese Wien. „Aber Gott ist da, auch in der Dunkelheit. Vielleicht gerade dort.“ Er erinnerte daran, dass die Staatstrauer mit dem Gottesdienst endet – doch nicht der Schmerz. Der bleibe. Für viele ein Leben lang.
Salzburgs Erzbischof Franz Lackner sprach in seiner Predigt davon, dass in dieser Zeit des Schmerzes auch ein neues Miteinander spürbar wurde. „Wir tragen einander – auch in der Sprachlosigkeit. Wir sind herausgefordert, den anderen nicht als Gegner zu sehen, sondern als Bruder, als Schwester.“
Ein Dom voller Tränen – und Trost
Nach dem Gottesdienst las der Erste Imam der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Wien, Ermin Sehic, Verse aus dem Koran. Evangelisch-lutherischer Bischof Michael Chalupka sprach ein Gebet. Musik erfüllte das Kirchenschiff, sanft, trostvoll. Wer wollte, konnte mit Seelsorger:innen sprechen oder eine Botschaft der Hoffnung hinterlassen.
Draußen auf dem Stephansplatz flackerten hunderte weiße Kerzen. Ein Lichtermeer, initiiert von Caritas und der Jungen Kirche. „So etwas wie eine Umarmung aus der Ferne“, sagte Caritas-Wien-Chef Klaus Schwertner. 3.000 Kerzen hatte man bereitgestellt – fast alle wurden angezündet. Menschen kamen und gingen, manche blieben lange stehen, andere verweilten schweigend.
Eine 24-jährige Wienerin sagte: „Es hat mich sehr getroffen. Ich habe selbst schwierige Schulzeiten erlebt. Diese Kerze ist für alle, die sich nicht sicher fühlen durften.“
„Das letzte Wort heißt: Leben“
Grünwidl erinnerte am Ende daran, dass der Glaube nicht immer eine Erklärung liefert. Aber eine Aussicht: „Gott ist die Aussicht. Das letzte Wort hat nicht der Hass. Nicht die Gewalt. Nicht der Tod. Das letzte Wort hat Gott – und dieses Wort heißt: Leben.“
Inmitten der Trauer sendete dieser Abend ein stilles Versprechen: Dass das Gedenken bleibt. Dass Mitgefühl verbindet. Und dass selbst in den dunkelsten Stunden ein Licht weiter brennt.
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