Ausführliche, fachlich fundierte Diskussion in Dialogform zwischen: Rechtsanwältin Kerstin Bontschev, Rechtsanwalt Jens Reime und Rechtsanwalt Daniel Blazek zum Thema Sterbevorsorge – warum sie wichtig ist, was dazugehört, und wie man sie am besten regelt. Der Stil ist zugänglich, aber rechtlich klar und hilfreich für Leser:innen ohne juristische Vorkenntnisse.
Diskussion: Sterbevorsorge – warum jeder Mensch sein Leben geregelt hinterlassen sollte
Moderation / Einleitung:
Sterben will niemand, aber vorbereitet sein sollte man trotzdem. Wenn der Ernstfall eintritt – ob durch Krankheit, Unfall oder Alter – sind klare Verfügungen und Vorsorgedokumente Gold wert. Warum das so ist und worauf man achten sollte, darüber sprechen wir heute mit drei erfahrenen Rechtsanwält:innen: Kerstin Bontschev (Familien- und Vertragsrecht), Jens Reime (Erbrecht und Patientenverfügungen) und Daniel Blazek (Zivilrecht und Vorsorgerecht).
Moderatorin: Frau Bontschev, warum ist Sterbevorsorge aus Ihrer Sicht so wichtig – gerade auch für jüngere Menschen?
Kerstin Bontschev: Weil das Leben nicht planbar ist. Viele denken, Vorsorge sei nur etwas für Ältere oder Kranke. Aber ein Unfall, eine plötzliche Krankheit – das kann jeden treffen. Wenn dann keine Patientenverfügung oder Vorsorgevollmacht vorliegt, stehen selbst engste Angehörige plötzlich vor verschlossenen Türen. Sie dürfen weder mit Ärzt:innen sprechen noch Bankgeschäfte erledigen. Das kann dramatische Folgen haben.
Moderatorin: Herr Reime, Sie vertreten oft Mandant:innen in genau solchen Situationen. Was fehlt den meisten?
Jens Reime: Ganz klar: die Kombination aus Patientenverfügung, Vorsorgevollmacht und Betreuungsverfügung. Das sind die drei Grundpfeiler der persönlichen Sterbevorsorge. Viele haben vielleicht ein Testament – aber das nützt vor dem Tod herzlich wenig. Wenn jemand im Koma liegt und nicht mehr ansprechbar ist, braucht es klare Anweisungen: Wer entscheidet medizinisch? Wer darf rechtlich für mich handeln? Ohne das muss das Betreuungsgericht aktiv werden – und das kann dauern.
Daniel Blazek: Und: Es kann auch jemand eingesetzt werden, den man vielleicht gar nicht möchte. Deshalb ist eine frühzeitige, rechtssichere Vollmacht so entscheidend. Die muss aber auch konkret sein. Ein Satz wie „Meine Tochter soll sich kümmern“ reicht leider nicht.
Moderatorin: Was genau gehört denn zur Sterbevorsorge?
Kerstin Bontschev: Ich gliedere das gerne so:
- Patientenverfügung – hier legen Sie fest, welche medizinischen Maßnahmen Sie wünschen oder ablehnen (z. B. künstliche Ernährung, Wiederbelebung).
- Vorsorgevollmacht – bestimmt, wer für Sie Entscheidungen treffen darf, z. B. im Krankenhaus, bei der Bank oder gegenüber dem Vermieter.
- Betreuungsverfügung – falls das Gericht doch eine Betreuung anordnet, bestimmen Sie hier, wer das übernehmen soll – oder wer nicht.
- Testament – damit Ihr Vermögen klar verteilt wird.
- Bestattungsverfügung / Bestattungsvorsorge – Wer soll sich um Ihre Beisetzung kümmern, wie soll sie ablaufen?
Jens Reime: Ergänzen würde ich noch den Notfallordner. Da kommen alle Dokumente rein, aber auch Passwörter, Versicherungen, Konten, PINs, Pflegeunterlagen etc. Es hilft den Angehörigen enorm, wenn sie nicht erst überall suchen müssen.
Daniel Blazek: Und bitte keine Angst vor Formalien! Ja, es gibt rechtliche Anforderungen – aber gute Vorlagen gibt es etwa bei Verbraucherzentralen oder auf anwaltlicher Ebene. Wichtig ist: klar, eindeutig, schriftlich, unterschrieben und auffindbar.
Moderatorin: Was passiert denn, wenn es keine Vorsorge gibt?
Jens Reime: Dann entscheidet das Betreuungsgericht. Das kann jemanden aus der Familie einsetzen – muss aber nicht. Die Person hat dann weitreichende Vollmachten, auch gegen den Willen der Angehörigen. Gerade bei Patchwork-Familien oder komplizierten Beziehungen kann das sehr unangenehm werden.
Kerstin Bontschev: Und auch medizinisch: Wenn keine Patientenverfügung da ist, treffen Ärzt:innen Entscheidungen nach bestem Wissen – aber nicht unbedingt im Sinne des Patienten. Ich habe Fälle erlebt, da wollten Angehörige lebensverlängernde Maßnahmen beenden – aber durften nicht, weil die rechtliche Grundlage fehlte.
Daniel Blazek: Deshalb mein Rat: Sprechen Sie mit Ihrer Familie. Reden Sie offen darüber, was Sie wollen – und was nicht. Viele vermeiden das Thema aus Angst. Aber Klarheit ist eine große Erleichterung für alle Beteiligten, wenn der Fall der Fälle eintritt.
Moderatorin: Wie oft sollte man seine Unterlagen prüfen?
Kerstin Bontschev: Alle paar Jahre – und immer, wenn sich die Lebenssituation ändert. Neue Partner, neue Kinder, neue Krankheiten – da muss man anpassen. Und: Lagern Sie die Unterlagen nicht nur in der Schublade. Der Bevollmächtigte muss wissen, wo sie sind – sonst helfen sie nicht.
Jens Reime: Und bitte nicht vergessen: Bei notariellen Vollmachten kann man sich ins Zentrale Vorsorgeregister der Bundesnotarkammer eintragen lassen. So findet das Gericht im Ernstfall die Dokumente schnell.
Moderatorin: Was raten Sie unseren Leser:innen ganz konkret?
Daniel Blazek: Machen Sie es wie beim TÜV: alle paar Jahre prüfen, was geregelt ist – und was fehlt. Vorsorge kostet nichts außer etwas Zeit. Aber sie kann im Ernstfall alles retten: Ihre Würde, Ihr Vermögen, Ihre Beziehungen.
Kerstin Bontschev: Und wenn Sie nicht sicher sind: Lassen Sie sich beraten – am besten bei einer spezialisierten Kanzlei oder der Verbraucherzentrale. Das ist besser investiertes Geld als ein zwielichtiges Coachingprogramm oder die nächste Küchenmaschine.
Jens Reime: Genau. Leben regeln heißt: den Frieden sichern. Für sich selbst – und für die, die man liebt.
Moderatorin: Vielen Dank an Sie alle für das offene Gespräch!
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